Gewöhnung an, macht blind für: Unsere Demokratie

Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?

Die alten Märchen transportieren archaische Wahrheiten aus dem Menschheitsgedächtnis. Kein Wunder, dass sie in den Kinderzimmern längst durch kitschig-lustige Bildergeschichten ersetzt sind, die immer öfter gleich aus dem Fernseher, statt aus dem gedruckten Buch kommen.

Schneewittchen. 

Kennen Sie das Märchen noch? Das wunderschöne Königskind und dessen Stiefmutter, die alles daran setzt, das Mädchen zu vernichten, zuerst noch mit Hilfe eines Jägers, der das Kind erschießen sollte, dann eigenhändig in Verkleidungen. Ein die Luft abschnürender Schnürleib, ein vergifteter Kamm, am Ende der halbseitig vergiftete Apfel.

Und warum das alles? Weil die Stiefmutter niemanden neben sich dulden wollte, der ihr ebenbürtig oder gar überlegen war.

Selbstverständlich kommt im Märchen kein Volk vor, dass sich empören könnte. Die Empörung wird bei denen ausgelöst, die dem Märchenerzähler lauschen und wieder und wieder um Schneewittchen bangen müssen, bis das Böse gesiegt hat und Schneewittchen im gläsernen Sarg liegt. Das war so zu erwarten. Es hat sich so entwickelt. Irgendwann mussten die Intrigen und Mordanschläge gelingen. Schneewittchen war ja viel zu gutgläubig, um ihrer Stiefmutter nicht irgendwann doch in die Falle zu gehen.

Wäre Schneewittchen nicht so schön gewesen, nicht so rein und weiß wie Schnee, das Haar nicht so schwarz wie Ebenholz und die Lippen nicht so rot wie Blut, sie hätte nichts zu befürchten gehabt. So wie auch heute, wer sich unscheinbar in die Mehrheit fügt, nichts zu befürchten hat. 

Kommen wir zur oft übersehenen Hauptfigur des Märchens.

Nein, es ist nicht der rettende Prinz. Den braucht es nur für das Happy-End, und damit die Kinder am Abend gut schlafen können.

Die Hauptfigur des Märchens ist der Zauberspiegel. 

Was der tut, wäre im Grunde vollkommen harmlos. Er antwortet wahrheitsgemäß auf eine für ihn leicht zu beantwortende Frage. Er muss nicht lange nachdenken, er kennt alle Frauen im Königreich und zwar so gut, dass er ganz genau weiß, wer die Schönste ist und dies auf Befragen auch unmittelbar kundtut. Dass er damit der Eitelkeit der Königin dient, weiß er nicht. Dass er letztlich Schuld an der Hetzjagd auf Schneewittchen sein soll, wird er weit von sich weisen. Er habe ja nur seine Erkenntnisse zur Verfügung gestellt, und dass eine Königin eine Königin ist, also Gesetz, Gericht und Henker zugleich sein darf, daran wird er, der Spiegel nichts ändern wollen. Im Gegenteil, er wird sich hüten, Kritik an seiner Königin zu üben. Denn, so sehr sie ihn auch braucht, sie hätte auch jederzeit das Recht, ihn, den Spiegel zu zerschlagen, sollte er ihr jemals untreu werden.

Würden heute noch wahre Märchen erfunden, ginge es womöglich nicht um biologische, sondern um politische Schönheit, wie sie vom „Zentrum für politische Schönheit“ bestens repräsentiert wird, und natürlich ist „Unsere Demokratie“ die schönste aller politischen Schönheiten im ganzen Land. Wie sollte es anders sein, auch wenn es sich längst nicht mehr um eine allmächtige Königin handelt, die Gesetz, Gericht und Vollstrecker in einer Person sein konnte, sondern um einen ganzen Hofstaat, der sich königinnengleich als die einzig legale Allmacht im Lande betrachtet.

Und natürlich würde heute nicht ein verzauberter Spiegel gefragt, sondern die KI, jedenfalls dann, wenn die in diesem Lande schon so weit entwickelt wäre. Da man sich auf ausländische KI nicht verlassen kann, die ja durchaus mit Sprüchen von JD Vance trainiert worden sein könnte, hat man sich ein Zwischending gebastelt.

Erst einmal eine Datenschutzgrundverordnung, als die allgemeine Basis für die Erfassung von abweichenden Demokratieverständnissen im Netz, dazu dann ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz und einen Digital Services Act, der im engen Zusammenwirken mit den anderen, in der EU zusammengeschlossenen, ehemaligen Königreichen entwickelt wurde. Den alten Paragraphen 130 StGB, Volksverhetzung, hat man aufpoliert und universalisiert und obendrein den neuen 188 StGB geschaffen, zum extraordinären Selbstschutz. Damit war das notwendige Recht geschaffen, um fragen zu können, wer da draußen wohl wagen würde, anders demokratisch zu sein als von Unserer Demokratie vorgesehen.

Dazu brauchte man aber noch ein Instrument, das überhaupt befragt werden konnte. Wer sollte das sein? Diejenigen, die gemeinsam Unsere Demokratie verkörperten, hatten ja an sich selbst genug und wussten nichts vom Leben des Volkes da draußen, und wenn ihnen das Volk je zu nahe kommen sollte, dann retteten sie sich in abgelegene Bergschlösser oder auf die nächstgelegene Fähre. Doch dass es da draußen welche geben musste, die gänzlich anders ticken, das wussten sie genau, schließlich saßen 151 von diesen Anderstickenden mitten im Reichstag und waren zwar an vielem zu hindern, aber nicht daran, dort im Reichstag, wenn auch immer wieder durch Ordnungsrufe unterbrochen, ihre Reden zu halten, und das mit voller Immunität als Abgeordnete.

So entstanden dienstbare Geister, die man im Märchen alter Zeiten womöglich in Flaschen oder Lampen gesperrt hätte, in welche sie, einmal entkommen, nie wieder zurück gebracht werden könnten, vielleicht hätte man sie auch in tiefen, dunklen Höhlen hausen lassen, wie die feuerspeienden und Jungfrauen fressenden Drachen, oder gar im Kyffhäuser wo immer noch einer sitzen soll, der nur darauf wartet, sein Reich neu zu errichten.

Doch heute glaubt man nicht mehr an Geister und Dämonen, heute glaubt man, dass man das, was man in die Welt gesetzt hat, ebenso auch wieder aus der Welt schaffen könne, so man dies nur wollen wolle. Zumal man diesen Institutionen auch keine mirakulösen Namen gegeben hat, sondern solche, die sich auch Rumpelstilzchen hätte ausdenken können.

Heißest du vielleicht Faktenchecker?

Oder heißest du vielleichtet Trusted Flagger?

Oder heißest du am Ende vielleicht sogar Meldestelle?

Nun, Rumpelstilzchen musste sich, als er korrekt benamst war, blind vor Wut selbst mitten entzwei reißen. 

Meldestelle, Trusted Flagger und Faktenchecker machen kein Geheimnis aus ihrem Treiben. Du sollst sie kennen und ihnen mit Ehrfurcht begegnen.

Alles ist ganz offen und öffentlich und das Meiste davon auch öffentlich finanziert. Weil es der Wahrheitsfindung dient, Euer Ehren.

Wissen Sie, liebe Leser, eigentlich,
in welchem märchenhaften Land wir leben dürfen?