Zwangsstörungen, wie der weithin bekannte Waschzwang, sind relativ gut erforscht. Der hier verlinkte Artikel gibt einen ersten guten Einblick in die Thematik.
Allerdings hat meines Wissens noch nie jemand einen Aufsatz veröffentlicht, in dem die Ähnlichkeit der Symptome bestimmter Zwangsstörungen mit den Symptomen legislativen Handelns nachgewiesen und in Bezug auf die klinische Relevanz interpretiert wird.
Lassen Sie mich also meine Gedanken zum Besten geben.
Ich muss nicht ausführen, was ein Parlament ist, welche Rolle ihm im Rahmen von Demokratie und Gewaltenteilung zukommt. Das ist Allgemeinwissen. Ich muss aber ausführen, welcher Kategorie von Ergebnissen die Resultate parlamentarischen Wirkens zuzuordnen sind, weil darüber – so gut es geht – das Mäntelchen des Schweigens ausgebreitet wird.
Das Ergebnis parlamentarischer Arbeit ist
– Trrrrommelwirrrrrbel –
B ü r o k r a t i e
Bürokratie, unvermeidliche Bürokratie..
Bürokratie, die mit den Protokollen der so genannten Parlamentsstenografen ihren Anfang nimmt, in Bundestagsdrucksachen ihren Niederschlag findet, um sich über das Bundesgesetzblatt ihren Weg hinaus ins Land zu bahnen, wo sie in millionenfacher Wirksamkeit auf Unternehmer und deren Erfüllungsgehilfen einprasselt, mal diese, mal jene Kohorte der gemeinen Untertanen mit neuen Anforderungen überschwemmt, in Ämtern und Behörden hektische Betriebsamkeit auslöst, um einerseits selbst die neuen bürokratischen Erlasse zu verstehen und mit lähmendem Leben zu erfüllen, andererseits Mechanismen zu erfinden, die zur Erfüllungskontrolle der Erfüllungsverpflichteten und zur Sicherung der eigenen Daseinsberechtigung unabdingbar sind. Selbstverständlich werden Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Anwaltskanzleien in diesen Strudel unweigerlich hineingezogen, die wiederum Aktenberge erzeugen, die nach Aufbewahrungsfristen und Alphabet geordnet in dunklen Kellerräumen jenen dumpf-staubigen Geruch verbreiten, der weltweit untrennbar mit dem Wirken der Bürokratie verbunden ist.
In der oben verlinkten Beschreibung der Zwangsstörungen finden sich die folgenden, bezeichnenden Sätze:
Die meisten Betroffenen mit einer Zwangsstörung sind sich wenigstens bis zu einem gewissen Grad bewusst, dass ihre Zwangsgedanken nichts mit realen Gefahren oder der Realität zu tun haben und ihre Zwangshandlungen übertrieben sind. Einige wenige Personen sind jedoch davon überzeugt, dass ihre Zwänge begründet und ihre Zwangshandlungen gerechtfertigt sind.
Dies erinnert mehr als überdeutlich daran, dass hin und wieder aus den Parlamenten der klägliche Ruf nach Entbürokratisierung ertönt, der regelmäßig nach nicht enden wollenden Beratungen in umfänglichen Gesetzeswerken zur Entbürokratisierung mündet, die den gleichen Weg über Parlamentsstenografen, Bundestagsdrucksachen, Bundesgesetzblatt hinaus ins zu entbürokratisierende Land nehmen, wo Entbürokratisierungsbeauftragte in Ämtern und Behörden ihre alten Arbeitsanweisungen und Prüfvorschriften nach Überarbeitung und Anpassung grobchronologisch und nach Aktenzeichen sortiert, in jene Kellerräume verbringen, wo die Vorgänger und Vorvorgänger der entbürokratisierten Vorschriften seit Jahrzehnten lagern und hin und wieder zu Rate gezogen werden müssen, um die neuesten Altfälle nach den jeweils in der Vergangenheit gültigen Regeln und Übergangs- und Überleitungsvorschriften bearbeiten zu können, was unweigerlich wiederum Unternehmer und deren Erfüllungsgehilfen, Anwaltskanzleien und Gerichte beschäftigt.
Es soll an dieser Stelle nicht bestritten werden, dass es sich beim Gesetzgebungsprozess um Arbeit handelt, wie auch nicht bestritten werden soll, dass diese Arbeit recht gut bezahlt wird, was durchaus dazu beitragen dürfte, dass diejenigen, die sich dieser Arbeit widmen, den aus einem Schuldkomplex herrührenden Zwang verspüren könnten, für das viele Geld auch möglichst viel abzuliefern, selbst wenn sie sich gleichzeitig bewusst sein sollten, dass ihr zwangsweises Tun nicht viel oder gar gar nichts mit realen Erfordernissen oder überhaupt mit der Realität zu tun haben könnte oder sich – nüchtern betrachtet – zumindest als übertrieben herausstellen würde.
Vergleicht man die hier beschriebene Arbeit mit normaler Arbeit, wie sie zum Beispiel am Bau anzutreffen ist, dann zeigt sich, dass es für jedes Bauvorhaben einen Auftraggeber gibt, der bestimmt, welcher Bau errichtet werden soll, wie er aussehen und ausgestatten sein soll, der am Ende das Bauwerk abnimmt und nutzt, während das Bauunternehmen die Baustelle räumt und nicht daran denkt, aus freien Stücken noch einen Balkon anzubauen oder ein zusätzliches Stockwerk zu errichten oder zusätzliche Fahrstühle einzubauen und was der denkbaren Möglichkeiten mehr sind. Wenn Schluss ist, ist Schluss.,
Das Parlament hingegen ist wie ein Bauunternehmen ohne Auftraggeber, jedoch mit schier unerschöpflicher Geldquelle.
Sicherlich. Da gibt es den sogenannten Souverän, der alle paar Jahre aufgerufen ist, die Mannschaft dieses Bauunternehmens neu zusammenzuwürfeln, doch, wer sich nichts vormacht, der weiß, dass mit dem sogenannten Wählerauftrag nicht mehr verbunden ist als ein windelweiches „Nun-macht-mal-schön!“, das weder ein konkretes Ziel noch einen konkreten Termin und schon gar keine konkreten Kosten vorgibt. Selbst die Wahlplakate sind drei Tage nach der Wahl wieder verschwunden, so dass der Vergleich zwischen Ankündigung und Ausführung unmöglich wird. Aufs Bauunternehmen bezogen würde das bedeuten, das vorher versprochen wird, eine Kläranlage zu errichten, nach vier Jahren aber ein unbeheiztes Hallenbad ohne Dach in der Landschaft steht, von dem dann wiederum versprochen wird, es in den nächsten vier Jahren in einen Busbahnhof umzubauen.
Tut mir leid, dass ich jetzt so konkrete Beispiele wie Kläranlage, Hallenbad und Busbahnhof verwendet habe. Das führt vollkommen weg von dem, was tatsächlich herauskommt, nämlich Bürokratie:
Eine „Gutes Kläranlagenemissionsschutzgesetznachbesserungsverordnung“, zum Beispiel, oder die „Bundes-Hallenbadbaufördermittelbegrenzungs-Richtlinie“, vielleicht auch das „Dritte Änderungsgesetz zur Bundesbusbahnhofbrandschutzverordnung“.
Da fragt man sich doch: Warum machen die das? Ist es denn nicht möglich, einfach mal aufzuhören? Ist unser Land eine bürokratische Dauerbaustelle bei der nie ein Zustand erreicht wird, von dem man sagen könnte, nun ist es gut, so kann es bleiben?
Geht nicht. Es ist kein Bauherr da, der sagen könnte: „Es ist genug. Mir reicht’s. Schluss jetzt. Lasst mich einziehen und in Ruhe.“
Also machen sie weiter und immer weiter. Wie der Besen – „Walle, walle …“ – aus dem Zauberlehrling. Sie überschwemmen uns nicht mit Wasser, was ja zumindest irgendwann auch von selbst wieder ablaufen würde. Sie überschwemmen uns mit Bürokratie, mauern uns ein in Berge bedruckten Papiers mit Gesetzeskraft. Haben mittlerweile 13 Bücher vollgeschrieben mit Sozialgesetzen, wobei – aberglaubenshalber – das Dreizehnte mit seinen 158 Paragraphen die Nummer 14 tragen muss.
Wahllos herausgegriffen, die Ihnen sicherlich bestens bekannten Regelungen für die Entschädigungen bei nicht schädigungsbedingtem Tod:
§ 148 Monatliche Entschädigungszahlung für Witwen und Witwer bei nicht schädigungsbedingtem Tod (1) Witwen und Witwer eines oder einer nicht schädigungsbedingt verstorbenen Geschädigten erhalten eine monatliche Entschädigungszahlung, wenn
(2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 3 gelten als erfüllt, wenn der oder die Geschädigte zum 31. Dezember 2023 Anspruch auf
(3) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 3 gelten auch als erfüllt, wenn der oder die Geschädigte nach dem 31. Dezember 2023 Anspruch auf
(4) Der Anspruch auf die in Absatz 2 Nummer 1 und 2 und Absatz 3 Nummer 1 und 2 genannten Leistungen muss im Zeitpunkt des Todes des Geschädigten bestanden haben.
(5) Die monatliche Entschädigungszahlung beträgt 523 Euro. Sie beträgt 784 Euro für Witwen und Witwer von Geschädigten mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100.
(6) Berechtigte nach Absatz 1 erhalten auf Antrag eine Abfindung anstelle der monatlichen Entschädigungszahlung. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres nach Bewilligung der Entschädigungszahlung zu stellen.
(7) Die Abfindung beträgt 62 742 Euro bei einer monatlichen Entschädigungszahlung nach Absatz 5 Satz 1, 94 113 Euro bei einer monatlichen Entschädigungszahlung nach Absatz 5 Satz 2.
(8) Auf die Abfindung sind bereits geleistete monatliche Entschädigungszahlungen anzurechnen. Mit der Zahlung der Abfindung sind alle Ansprüche auf die monatlichen Entschädigungszahlungen bei nicht schädigungsbedingtem Tod abgegolten.
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Mich beschleicht das Gefühl, dass dieses ganze verflixte dreizehnte Buch ohne den Eifer eines auf quantitative Aufgabenübererfüllung fixierten Parlaments mit den zwei Sätzen des §823 BGB bereits hinreichend so beschrieben wäre, dass ein Amtsrichter im eher seltenen Entschädigungsfall eine gute Entscheidung zu treffen in der Lage wäre, zumal angenommen werden darf, dass viele dieser wenigen Entschädigungsfälle sowieso vor Gericht landen.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 823 Schadensersatzpflicht (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
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