
Rettung aus der Insolvenz – ein Irrweg
Aus aktuellem Anlass, weil Gerry Weber gerade zum dritten Mal Insolvenz angemeldet hat.
Gerry Weber, einst in Halle, Westfalen, gegründet, ist längst kein deutsches Unternehmen mehr. Gerry Weber befand sich zuletzt vollständig im Besitz der luxemburgischen GWI Holding S.A.R.L, deren Eigentümer, J.P. Morgan, Robus Capital Management und die Vermögensverwaltung Whitebox, Interessen vertreten, die nach meiner Überzeugung überhaupt nicht als schutzbedürftig angesehen werden sollten.
In meiner Statistik zur Arbeitsplatzvernichtung in Deutschland findet sich Gerry Weber gleich mehrmals:
Anfang 2019 | Erste Insolvenz, von mir noch nicht erfasst |
22.10.2019 | Gerry Weber entlässt 37 Mitarbeiter |
05.05.2020 | Gerry Weber streicht 200 Stellen |
22.09.2020 | Die Sanierung geht weiter, 200 Stellen werden abgebaut |
21.04.2023 | Das Filialnetz soll per Insolvenz ausgedünnt werden geschätzt 175 Jobs |
14.05.2023 | In der Zentrale werden 50 Stellen gestrichen |
30.06.2023 | Insgesamt werden es 425, es fallen weitere 200 Jobs weg |
03.05.2024 | Gerry Weber baut weitere 50 Jobs ab |
11.03.2025 | Schon wieder insolvent, 230 Stellen gehen weg |
Eigentlich stand im März 2025 die Insolvenz in Eigenverwaltung, also die Sanierung auf Kosten von Gläubigern, Lieferanten und Mitarbeitern auf dem Programm. Da ging es noch nur um die „Zentrale“.
Nun ist es heraus, die Reste des Unternehmens werden sechs Jahre nach der ersten Insolvenz insgesamt an einen spanischen Konzern verkauft. Dem geht es aber nur um die Marke. Alle 40 noch existierenden Filialen werden vom neuen Eigentümer geschlossen. Die Marke bleibt erhalten und wird in anderen Stores nebenbei mit angeboten. Ein langer, sinnloser Weg.
Der erste Reflex auf eine Insolvenznachricht ist bei den meisten ein
Gefühl von Trauer, Mitleid und Betroffenheit.
Meist gilt dieser Reflex den Beschäftigten des insolventen Unternehmens, in speziellen Fällen auch den Kunden, wenn z.B. ein insolventer Reiseveranstalter den Rückflug seiner Kunden vom Urlaubsziel nicht mehr finanzieren kann.
Anders sieht es mit den Führungskräften des insolventen Unternehmens aus. Da hat es wohl „Managementfehler“ gegeben, heißt es da bestenfalls, häufiger aber kommt es zu schadenfrohen oder beleidigenden Äußerungen, die hier nicht weiter ausgewalzt werden sollen.
Außerhalb des Radars der Betrachter bleiben regelmäßig zwei abgrenzbare Gruppen von Insolvenzbetroffenen, nämlich die Gläubiger, unter denen sich nicht nur die Banken, sondern auch die Lieferanten mit unbezahlten Rechnungen befinden, und – last but not least – die im Wettbewerb mit dem insolventen Unternehmen stehenden Konkurrenten.
Um Letztere soll es in diesem Aufsatz gehen.
Wir sprechen hier ganz allgemein von der Gesamtheit einer Branche, deren Unternehmen einen bestimmten – regionalen oder überregionalen – Markt mit weitgehend austauschbaren Produkten oder Dienstleistungen bedienen, weshalb der Erfolg der gesamten Branche in hohem Maße von der jeweils am Markt aktiven Nachfrage abhängt.
Wenn also ein Unternehmen auf der Anbieterseite aus dem Markt ausscheidet, sollte sich das für die verbleibenden Wettbewerber, denen der Marktanteil des ausgeschiedenen Anbieters automatisch zufällt, grundsätzlich positiv auswirken.
Je besser die Geschäfte des insolventen Unternehmens bis zur Insolvenzanmeldung gelaufen sind, desto mehr gibt es dabei unter den Wettbewerbern zu verteilen. Hat sich der Insolvenzantrag jedoch lange hinausgezögert, dürften die Anteile schon vorher weitgehend an die Konkurrenz gegangen sein.
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, in die Insolvenz zu schlittern, auch durchaus exotische, wie zum Beispiel sehr schnelles, unkontrolliertes Wachstum, bei dem die Vorleistungen für neue Aufträge (Material, Löhne, Energie, etc.) so schnell wachsen, dass die Umsätze aus den vorher ausgelieferten und fakturierten Aufträgen nicht ausreichen, um die Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten.
Die klassische Insolvenz ist jedoch die Folge einer ungünstigen Kostensituation in Verbindung mit Überkapazitäten im Markt.
Hier fallen regelmäßig die am wenigsten rentablen Unternehmen aus dem Markt – und das ist gut so.
Um es explizit zu erklären:
Es bleibt diesen Unternehmen nichts anderes übrig als ihre zu hohen Kosten in den Preisen weiterzugeben, oder so lange Abstriche an der Qualität zu machen, bis wettbewerbsfähige Preise ausgezeichnet werden können. Dies geht so lange gut, wie die Nachfrage ausreicht, um das gesamte Angebot abzunehmen.
Es geht schief, wenn Überkapazitäten entstehen und sich ein Preiskampf entwickelt. Wer schon messerscharf kalkulieren muss, um zu überleben, hat in dieser Situation ganz schlechte Karten.
Seit im Insolvenzrecht der Grundsatz gilt: „Sanieren geht vor liquidieren“, und insbesondere seit die EU eine Richtlinie herausgegeben hat, die europaweit ein Restrukturierungsverfahren vor Eintritt und zur Vermeidung der Insolvenz vorgibt, im deutschen Recht im „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ ausgeführt, sind die Selbstreinigungskräfte des Marktes stark beeinträchtigt.
Das Argument, man könne ein gesundes Unternehmen doch nicht einfach untergehen lassen, ist ebenso absurd wie die Aussage, man könne einen Hundertjährigen doch nicht an Altersschwäche sterben lassen.
Ein gesundes Unternehmen wird weder zahlungsunfähig, noch gerät es in die Überschuldung.
Bis es dazu kommt, hat sich Fehlentscheidung an Fehlentscheidung gereiht, während mögliche Korrekturen bis zuletzt nur halbherzig oder gar nicht vorgenommen wurden.
Ein krankes Unternehmen, ob nun vor oder in der Insolvenz sanieren zu wollen, führt zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der gesamten Branche.
Wer mit seinen Gläubigern zur Vermeidung des Untergangs einen Schuldenschnitt vereinbaren kann, steht doch besser da als ein vergleichbarer Konkurrent mit ähnlich hohen Schulden, der aber weder auf die Zahlungsunfähigkeit, noch auf die Überschuldung zusteuert.
Wer sich ohne Einhaltung von Kündigungsschutzvorschriften von überzähligen und teuren, alten Mitarbeitern trennen kann, steht doch besser da als der vergleichbare Konkurrent, dem es nicht gelingt, betriebsbedingte Kündigungen zu begründen, weshalb er teure Abfindungsverträge schließen muss, wenn er die Belegschaft verkleinern will.
Vor allem aber trägt die Rettung nur dazu bei, die im Markt befindlichen Überkapazitäten zu erhalten. Das belastet weiterhin die gesamte Branche und führt über kurz oder lang zur nächsten Insolvenz.
Nicht selten ist es dabei das gerettete Unternehmen selbst, das nach kurzer Zeit wieder so weit ist, den Gang zum Insolvenzgericht antreten zu müssen.
Beispiele? Bitteschön, alles noch ganz frisch:
Gerry Weber, Mode, zum dritten Mal
Salzburg Schokolade, Mozartkugeln, zum zweiten Mal
Volta Trucks, E-LKWs, zum zweiten Mal
City Jet, Fluglinie, zum zweiten Mal
Halberstädter Würstchen, Wurstfabrik, zum zweiten Mal
Lilium, Flugtaxis, zum zweiten Mal
Villa Marie, Restaurant, zum zweiten Mal
Görtz, Schuhfilialist, zum zweiten Mal
Sinn, Mode, zum vierten Mal
Funk-Eck, Kult-Café, zum zweiten Mal
Spezialmaschinen und Werkzeugbau, Bahnzulieferer, zum zweiten Mal
Biebelhausener Mühle, Bäckereikette, zum zweiten Mal
DRK-Kliniken Rheinland Pfalz, zum zweiten Mal
Bitterer ist es aber, wenn das kranke Unternehmen am Leben gehalten wird und stattdessen gesündere Wettbewerber in die Insolvenz gerissen oder zur Aufgabe gezwungen werden.
Es bleiben ja alle im gleichen Markt, und das moderne Insolvenzrecht lässt es bei dieser „Reise nach Jerusalem“ zu, dass dem Vorletzten, der eigentlich schon aus dem Schneider war, doch noch der Stuhl unterm Hintern weggezogen wird.
Wenn der Staat aus guten Gründen ein Interesse daran hat, dass ein Unternehmen erhalten wird, dann soll er als Teilhaber einsteigen oder es gleich ganz übernehmen. Das hat er ja schon ein paarmal so gemacht, wie z.B. bei der Commerzbank oder bei der Lufthansa.
Wo es aber nur um falsch verstandene Tierliebe geht, ist ein auf Sanierung ausgerichtetes Insolvenzrecht meiner Meinung nach kontraproduktiv. Es geht hier nicht um „Resozialisierung“, wie im Strafrecht, wo sie auch nicht überragend funktioniert, es geht darum, notwendige Bereinigungsprozesse zuzulassen.