PaD 38 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 38 2024 Freiheit kann entzogen werden
Freiheitsentzug gehört zu den genialen Wortschöpfungen in der deutschen Sprache.
Entzug. Den Begriff Entzug kennen wir von Suchtkranken. Verharmlosend für unerträgliche physische und psychische Leiden werden dabei „Entzugserscheinungen“ als unvermeidliche Begleiterscheinungen auf dem Weg durch die Hölle bezeichnet, an dessen Ende die Patientenakte mit dem Stempel „clean“ versehen wird.
Freiheit. Mit der Freiheit ist das nicht so einfach. Freiheit ist ja nur ein höchst abstrakter Sammelbegriff. Wer sich dem Freiheitsbegriff annähert, dem zerfällt er unter dem prüfenden Blick in tausend eigenständige Bruchstücke und in tausend Erzählungen, die außer ihrer Subsumierbarkeit unter diesen Sammelbegriff nichts miteinander zu tun haben. Oder sehen Sie einen direkten Zusammenhang zwischen sexueller Freiheit, Niederlassungfreiheit, Bewegungsfreiheit und Meinungsfreiheit, um nur einige Beispiele zu benennen? Es lassen sich ja viele weitere Freiheiten finden, die gar nicht so benannt werden. Die Freiheit, das eigene Erscheinungbild zu gestalten, zu der zum Beispiel die „Frisurenfreiheit“ zu zählen wäre, gibt es als Begriff gar nicht. Vielleicht – im speziellen Fall – weil Frisurenfreiheit auch als Umschreibung für „Glatze“ gedeutet werden könnte.
Es findet da jener begriffliche Wandel statt, durch den Freiheiten zu Rechten werden. Ein Recht aber, kommt nicht, wie die Freiheit, aus sich heraus zustande. Das Recht ist stets Indiz für ein Unterordnungsverhältnis. Ein Recht wird gewährt, und wer sich einfach ein Recht herausnehmen will, der wird in seine Schranken gewiesen werden.
Recht. Anders als die Freiheit, die eine natürliche Eigenschaft des Lebens ist und ihre Grenzen nur in den natürlichen Gegebenheiten findet, werden mit dem Recht menschengemachte Grenzen gesetzt, über die hinaus sich niemand noch Freiheiten erlauben darf. Manche dieser Rechte sind sehr weit gesteckt, manche sehr eng begrenzt, doch insgesamt kann festgestellt werden: Die gesamte Menschheit hat ihre Freiheit zu Gunsten von Rechten aufgegeben. Eine gewisse Erosion dieser menschlichen Rechtsgesellschaften ist von drei Seiten her festzustellen. Da ist einmal der Rechtsbruch, durch den sich Vorteile verschaffen lassen, da ist zum anderen die (feige) Toleranz gegenüber den Rechtsbrechern, die das Recht zerstört, und es ist ein permanenter Prozess der willentlichen Umgestaltung, Ausweitung und Verfeinerung des Rechts, dessen deklarierte Zielsetzung „mehr Gerechtigkeit“ verspricht, während seine Wirkungen dem nur in den seltensten Fällen entsprechen, weil es sich in der Regel um die Umverteilung von Vor- und Nachteilen handelt, die – ebenfalls in der Regel – als Umverteilung von unten nach oben zutreffend beschrieben sind. Ordnet man Vor- und Nachteile nun den Kategorien „gut“ und „böse“ zu, öffnet sich das Tor zum metaphysischen Erkenntnisraum in dem gerade auf der Ebene des Rechts das Wahre, Gute und Schöne, der Gott oder die Götter, die Engel und Heiligen dem gegenüberstehen, was als Lüge, Bosheit und Hässlichkeit, als der oder die Teufel, als Dämonen und Verfluchte bezeichnet wird.
Gut und Böse. Zu postulieren, das Böse sei alles, was nicht gut ist, das Gute hingegen alles, was nicht böse ist, ist eine beliebte und weit verbreitete Methode der Unterscheidung, die jedoch mit dem Makel behaftet ist, dass ihr stets eine sich aus einem subjektiven Standpunkt ergebende Perspektive zugrunde liegt, gut und böse also zur Beliebigkeit entarten und zu Definitionszwecken so ungeeignet sind wie links und rechts, weil ihre Gültigkeit auf jene beschränkt ist, die den Standpunkt teilen und über die Zeit auch beibehalten. Da das Recht dazu dient, den Guten Gutes zukommen zu lassen und es den Bösen zu verwehren, kann Recht nichts anderes sein als die Manifestation der Egoismen von Gruppen, die den gleichen Standpunkt teilen und die Macht haben, Recht zu setzen, was – daran sei hier erinnert – die Macht ist, Freiheiten neu zu begrenzen.
Macht. Macht ist, und sei sie auch noch so schön verkleidet, wenn es darauf ankommt nichts anderes als die Fähigkeit und der Wille, mehr Gewalt anzuwenden als der Gegner. Macht kann nicht missbraucht werden, das liegt nicht in ihrer Natur. Macht kann sich lediglich gegenüber einer anderen Macht als zu schwach, zu wenig gewalttätig und zu wenig gewaltbereit erweisen. Dann wird sie im Kräftemessen untergehen, oder sich – mit ihren Ressourcen – der Übermacht dienend unterordnen. Dies kann auch irrtümlich geschehen.
Irrtum. Irren sei menschlich, heißt es, und da ist viel Wahres dran. Doch gilt es auch hier zu unterscheiden, zwischen dem originären Irrtum und dem induzierten Irrtum. In Bezug auf den Konflikt zwischen Mächten, sind zwei Arten von Irrtum zu betrachten. Der Irrtum in Bezug auf die eigene Stärke, die irrtümlich zu groß oder zu klein eingeschätzt werden kann, und der Irrtum in Bezug auf die Stärke des Gegners, die ebenfalls zu groß oder zu klein eingeschätzt werden kann. So wird jede Macht, die sich für eine Auseinandersetzung rüstet, bestrebt sein, die eigene Macht größer erscheinen zu lassen als sie ist. Das Mittel dazu ist die Propaganda und das Mittel der Propaganda ist die Lüge, und das Ziel ist es, beim Gegner den Irrtum zu induzieren, seine Macht sei zu gering, um gegenüber dem Mächtigeren bestehen zu können. Selbstverständlich wird auch gelogen, um dem Gegner zu suggerieren, er sei der Stärkere, er könne die Auseinandersetzung wagen, ja er müsse sie wagen, solange die Zeit noch günstig ist, nur um ihn dann im Vertrauen auf seinen Sieg umso vernichtender zu schlagen.
Lüge. Die Lüge ist im Machtkampf, also im Kampf um Rechte, unverzichtbar, denn sie kostet wenig und hilft, den eigenen Aufwand zum Erreichen eines Zieles auf das Nötigste zu begrenzen. Die Wirkung der Lüge wird jedoch beeinträchtigt, wenn Zweifel aufkommen, und sie wird ausgelöscht, wenn die Wahrheit ans Licht kommt und es gelingt, sie so weit zu verbreiten, dass die damit gefestigten Standpunkte und Perspektiven, sowie die darauf errichteten Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen nicht mehr gehalten werden können. Daher muss jeglicher Zweifel im Keim erstickt werden.
Zweifel. Zweifel entsteht, wenn zu Ursachen oder Absichten auch andere als die offiziellen Erklärungen gefunden werden können und diese ebenfalls plausibel erscheinen. Zweifel wird begünstigt, wenn sich offizielle Erklärungen bereits in der Vergangenheit als falsch und irreführend herausgestellt haben. Von daher ist es wichtig, nicht nur die gegenwärtigen Lügen vor Aufdeckung zu schützen, sondern auch die Lügengebäude der Vergangenheit immer wieder abzusichern und abzustützen, um so Zweifel am Zweifel der Zweifler zu säen. Klar, dass die Zweifler, je stärker sie und ihre Aussagen von der Macht diskreditiert werden, unterschiediche Verhaltensweisen zeigen. Einige resignieren und halten die Klappe. Ziel erreicht. Andere räsonieren und werden nur umso lauter. Da gilt es, ein Recht zu beschneiden.
Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist keine Freiheit, sondern ein Recht. Doch! Es heißt: „Jeder hat das Recht, seine Meinung … zu äußern“, und, „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze …“ Wenn aber die Schranken der Gesetze nicht eng genug gesetzt sind und auch nicht ohne Weiteres schnell genug immer enger gesetzt werden können, wenn sie Raum für Zweifel dort lassen, wo er gefährlich werden könnte, muss andere Abhilfe geschaffen werden.
Die Wiederkehr des gesunden V0lksempfindens. Um nicht ungewollt Erinnerungen zu wecken, heißt das Wiederaufleben des Gruppenzwangs, der unterhalb strafrechtlich relevanten Verhaltens einsetzt, um die schwarzen Schafe aus der Herde zu vertreiben, nun allerdings „Zivilgesellschaftliches Engagement“. Auf diesem Acker des zivilgesellschaftlichen Engagements gedeiht dank großzügiger Düngung aus dem Steuersäckel eine unübersehbare Zahl von Organisationen, deren einziges Anliegen es ist, den Frieden unter der alleinigen Wahrheit zu bewahren, wie sie sich vom gültigen Standpunkt und unter der Einnahme der gültigen Perspektive darbietet. Es klingt fast wie das erste Gebot: „Du sollst keine andere Wahrheit haben neben dieser …“. Alles andere ist Hass und Hetze, gemeinwohlgefährdend, wie es so schön heißt, und auf die Demokratie könne sich ja wohl auch nicht berufen, wer sich durch Widerspruch selbst ins Abseits stellt. Das muss gemeldet werden, um die Abtrünnigen zu isolieren und die Ausbreitung der Meinungsseuche zu verhindern.
Nur die verbohrtesten Hammel suchen nicht ängstlich in der Herde Deckung, wenn die Faktenchecker und Meldestellen und Trusted Flagger als deutsche Schäferhunde losgelassen werden, um die Ruhe wieder herzustellen und die Schäflein auf den rechten Weg zu leiten. Diese Extremisten werden schon sehen, was sie davon haben, sich gegen die Macht zu stellen, ohne selbst über mehr Macht als die des Wortes zu verfügen. Geld ist Macht. Das werden sie spüren.
Geld. Geld ist Macht. Kein Geld ist Ohnmacht. Hört, was die Tagesschau beklagt:
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Offenbar hat sich herumgesprochen, dass Kontensperrungen inzwischen als Mittel der Meinungslenkung eingesetzt werden. Nun wird, um dies zu relativieren und um Zweifel am Zweifel am Rechtsstaat zu säen, eben offen dazu aufgerufen, noch viel mehr Menschen und Organisationen die Konten zu kündigen. „Finanzquellen von Terroristen und Extremisten austrocknen“, nennt man das, und es ist, nach allem was ich weiß, gar nicht schwer, eine Bank dazu zu bewegen, einem Kunden, der weder Terrorist, noch Extremist ist, aus erzieherischen Gründen (bestrafe einen, erziehe Hunderte) die Konten zu kündigen. Schwer ist es hingegen, wenn nicht gar unmöglich, herauszufinden, auf wessen Wink hin das geschehen ist. Schwer bis unmöglich ist es ebenfalls, wieder eine Bank zu finden, die bereit ist, ein Konto einzurichten. Wer kein Konto hat, der kann praktisch kein Geld mehr einnehmen, er kann aber auch praktisch seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Da wird der Übergang zur Existenzvernichtung fließend. Mit Bargeld klappt das auch nicht. Erstens kommt man nicht an Bargeld aus dem Automaten, wenn das Konto gekündigt ist, und zweitens ist das Zahlen mit Bargeld verdächtig – und ab gewissen Grenzen bereits schlicht verboten. Manche lassen sich aber auch davon nicht beeindrucken und agitieren weiter. Da zeigt sich die Macht dann früh um halb sechs, Hausdurchsuchung.
Hausdurchsuchung. Da kann sich später, Monate später, herausstellen, dass der Verdacht unbegründet war, dass man auf den beschlagnahmten Rechnern, Handys und sonstigen Datenträgern nichts Belastendes gefunden hat. Freispruch erster Klasse. Aber dass man für lange Zeit keinen Zugriff mehr auf die eigenen Daten und Dokumente hatte, dass die gesamte Hard- und Software nachbeschafft werden muss, weil man nicht warten kann, bis die beschlagnahmten Geräte zurückgegeben werden, dass man eine Zeit massiver psychischer Belastung durchleben muss, immer in Sorge, es könnte doch etwas gefunden werden, was als belastend angesehen wird, man könnte doch vor Gericht gezerrt werden, und sei es wegen einer uralten Sache, das sollte doch abschreckend genug sein.
Hausbesuche. Ob da zwei Personen im hoheitlichen Auftrag auftauchen, um mit ausgesuchter Freundlichkeit eine Ermahnung auszusprechen, oder eine unbestimmte Anzahl im selbst erteilten Auftrag nächtens auftritt, um Parolen an die Wände zu sprühen – beides sind Hausbesuche, die der Einschüchterung dienen, nicht länger das wahrzunehmen, was man für seine Rechte – und schlimmstenfalls sogar für seine staatsbürgerlichen Pflichten – hält.
Sieht man das ganze Leben als einen einzigen Machtkampf, dem auch der Beste nicht entfliehen kann, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt, kann die Frage nicht ausbleiben, was diesen Kampf denn immerwährend antreibt.
Habgier und Machtgier, die sich gegenseitig bedingen und zum Neid aufstacheln, gehören sicherlich dazu, Geltungsdrang und Verschwendungssucht, die wiederum die Habgier befeuern, um sie ausleben zu können, die Wut, die sich einstellt, wenn die Habgier nicht befriedigt wird, und in Gewalt umschlägt, um mit Macht zu erringen, was mit friedlichen Mitteln nicht zu erreichen ist, das dürften die Triebkräfte im Wesentlichen sein. Kein Wunder, dass dies weitgehend mit den Todsünden der christlichen Glaubensgemeinschaften übereinstimmt.
Es gibt aber auch eine weitere Ursache, nämlich die Bestätigung durch das Gelingen, die darauf beruht, dass die Zufriedenen und Dankbaren, die jedem gönnen, was er hat, die sich nicht überall in den Vordergrund drängen, Geld und Gut zusammenhalten und die Anwendung von Gewalt verabscheuen, dass diese vertrauensselig alles glauben, vor allem, dass alles nur zu ihrem Besten sei, statt sich zu verteidigen und wenigstens ihre Rechte zu wahren.
Natürlich ist dies ein Jammern und Philosophieren auf höchstem Niveau.
Es geht uns doch immer noch gut.
Ja, die Mieten sind hoch und Wohnungen rar. Aber wer will, der hat doch ein Dach über dem Kopf!
Ja, vom Lohn bleibt netto nicht viel übrig, die Renten sind niedrig. Aber wer will, der kommt mit dem Bürgergeld doch aus.
Ja, das Land ist gefährlich und unsicher geworden. Aber wer will, der rechnet sich aus, dass das Risiko selbst getroffen zu werden, doch sehr gering ist.
Wer meint, wegen seinem bisschen Meinungsfreiheit schon protestieren zu müssen, der möge doch einfach nur auf Gaza blicken, da wird ihm das schon vergehen.
Fallen bei uns denn Bomben? Bahnen sich Panzer ihren Weg durch Ruinenlandschaften? Fehlt es an Wasser, an Medikamenten? Leidet ihr Hunger?
Das könnt ihr alles haben, wenn ihr nicht lernt, dankbar zu sein, statt euch wegen solcher Nichtigkeiten aufzulehnen.
Alles was geschieht, ist nur zu eurem Besten. Das ist die Wahrheit.
Und die Wahrheit setzt sich durch – zur Not auch mit Gewalt.