Fast die Hälfte der Deutschen

Sonntagsbilder fallen heute ins Wasser

Vom Regen in die Traufe zu gelangen, das wünscht sich niemand. Nicht einmal die Deutschen. Dafür gibt es zwei klare Indizien.

Fall 1:

Fast die Hälfte der Deutschen ist nach einer von der BILD beauftragten Umfrage dafür, die AfD zu verbieten. Darüber informiert die WELT auch das anspruchsvollere Springer-Informationsbezieher-Klientel, im Web sogar ohne Bezahlschranke.

Fall 2:

Es gibt eine Parallele zu dieser Meldung, die nur wenige Wochen älter ist, sie stammt vom Bundeswahlleiter und lautet, übersetzt in einfache Sprache: Fast die Hälfte der Deutschen hat soviel Vertrauen zu CDU (22,6%), SPD (16,4%) und CSU ( 6,0%), dass sie es diesen Parteien ermöglichen, miteinander die Regierung zu bilden.

Fürwahr, wir haben hier eine Koinzidenz gefunden, bei der es sich zugleich um  eine Korrelation handelt, was zwar immer noch nicht ausreicht, um eine Kausalität festzustellen, wohl aber für die Bildung von Hypothesen.

„Hypo“ steht im Lateinischen, je nach Kontext, für unter, unterentwickelt, niedrig, lässt also erkennen, dass es sich bei Hypothesen um eher gering einzuschätzende Behauptungen handelt, also keineswegs um eine vollwertige Tatsachenbehauptung. Tatsachenbehauptungen können nämlich strafbar sein, Hypothesen bislang noch nicht.

Hypothese:

Wenn (nach Fall 2) 90 Prozent der Hälfte der Wählerstimmen an der Urne, im Parlament zu 104 Prozent der Hälfte der Sitze und damit zur Mehrheit werden, muss die Zustimmung  von fast der Hälfte der Wähler (nach Fall 1) nach dem Gleichheitsgrundsatz auch hier den Mehrheitswillen zum Ausdruck bringen.

(Kurz: Mehrheit muss Mehrheit bleiben, auch wenn es nur knapp die Hälfte ist. Wo kämen wir sonst hin?)

Um eine Hypothese zu verifizieren, ist es gute Praxis, aus der Hypothese Maximen abzuleiten und deren Folgen /Ergebnisse wiederum auf Übereinstimmung mit der Hypothese zu prüfen.

Maxime 1:

Wer ein Ziel zwar nicht vollständig, aber doch zumindest fast erreicht, soll behandelt werden, als habe er es erreicht.

Stimmt überein

  • mit Fall 2

Trifft weiterhin zu

  • bei der Gewährung von Boni für Führungskräfte (häufig)
  • bei der Pünktlichkeit von Bahnverbindungen („fast“ entspricht hier exakt 5 Minuten und 59 Sekunden)
  • bei der Abarbeitung von Koaltionsverträgen (häufig)
  • bei der Aburteilung von Delikten nach §188 StGB, auch wenn das öffentliche Wirken weder erheblich, noch überhaupt beeinträchtigt wird (regelmäßig)
  • usw.

Trifft nicht zu

  • Bei sportlichen Wettbewerben, bei denen Sieger ermittelt werden.
  • Beim Glücksspiel Lotto 6 aus 49
  • usw.

Trotz allen Wohlwollens lässt sich nicht verhehlen, dass die radikale Umsetzung dieser Maxime auf maximalen Widerstand stoßen dürfte, vor allem da, wo Elemente des Glücksspiels vorzufinden sind. Das ließe sich mit einer gewissen Gewöhungszeit bei den Teilnehmern an Sportwetten zwar überwinden, die Spieler müssten ihre Strategien halt an die neuen Regeln anpassen. Bei Lotto 6 aus 49 funktioniert es wegen der mathematisch unveränderlichen Wahrscheinlichkeiten jedoch gar nicht.

Damit sind wir an der Begründung dafür gescheitert, warum eine demokratische Regierung nicht nach dem Willen der Mehrheit, sondern nach dem Willen von fast der Mehrheit ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD anstrengen muss. Das zeigt nur einmal mehr, dass sich gutes Regierungshandeln nicht mit allgemein verbindlichen Richtlinien erreichen lässt und auch Kants kategorischer Imperativ im erbitterten Kampf der Streiter für Unsere Demokratie so lange keinen Platz finden kann, wie der Sieg nicht eingefahren ist.

Es muss nun aber – nachdem der „gärige Haufen“ die Republik seit zehn Jahren immer wieder in Wallung versetzt – endlich wieder Frieden werden in deutschen Landen. Auch wenn Vergleiche hinken, so steht Unsere Demokratie der AfD doch ebenso als duldsames Opfer gegenüber, wie die duldsamen Bürger Israels der palästinensichen Hamas. Auch in Israel ist der palästinensische Krug so lange zum Brunnen gegangen, bis Netanjahu sich entschlossen hat, dem ewigen Konflikt ein Ende zu setzen. Wir haben noch die Chance, den Anfängen zu wehren. Noch kann es gelingen, ohne Waffengewalt in die AfD-Hochburgen einzudringen und die Rädelsführer dingfest zu machen. 

Dass nur „fast die Hälfte der Deutschen“ für ein AfD-Verbot plädiert, liegt doch nur daran, dass die duldsame demokratische Mitte die AfD zu stark werden ließ. Noch vor ein paar Jahren hätte sich wahrscheinlich fast die Hälfte der AfD-Sympathisanten selbst noch für ein Verbot ausgesprochen! Das wäre die absolute Mehrheit gewesen. Ja. So geht es, wenn man die Zügel schleifen lässt.

Wer darauf wartet, eine Mehrheit für sich zu gewinnen, statt zu handeln, wenn es geboten erscheint, scheut doch nur davor zurück, die Verantwortung auf sich zu nehmen.

Glücklicherweise wird die neue Regierung den Stab, den Nancy Faeser Alexander Dobrindt auf den letzten Metern übergeben wird, ausgeruht und mit frischer Kraft ins Ziel tragen. Wie Merz überhaupt so manches noch ins Ziel bringen will. Taurus, nicht zu vergessen, allerdings – hier bitte nichts verwechseln – nicht gegen die AfD.

Warum der Taurus gegen Russland, nicht aber gegen die AfD zum Einsatz kommen soll, das wird wohl mit der Problematik zu tun haben, die dem Begriff „deutsches Volk“ innewohnt. Gerade weil es das deutsche Volk als Abstammungsgemeinschaft nicht gibt, dürften jene, die dies nach wie vor vertreten, und sich damit an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vergehen, den Schutz, den das Grundgesetz allen Deutschen verspricht, nicht für sich in Anspruch nehmen können, weil sie sich mit ihrer Ausschließeritis selbst aus dem Volkskörper ausgeschlossen haben.  Andererseits leben die meisten AfD-Mitglieder und AfD-Wähler ganz überwiegend in Deutschland, womit sie dummerweise wieder ohne jedes Wenn und Aber wieder mit dazugehören, wie alle anderen auch, ganz nach Merkels Definition: Die hier leben, sind das deutsche Volk.

Da man dieses völkische Fass mit dem AfD-Verbot aber endgültig zumachen will, wäre es doch kontraproduktiv, es ausgerechnet bei der Wahl der Mittel im Kampf gegen rechts noch einmal aufzumachen.

Also sollte auch für die AfD gelten:

Duldung ist besser, einfacher und billiger als Abschiebung.

Man soll beim Bewährten bleiben.

Man kann sich aber auch an Thailand orientieren.

Da ist die Wahlsiegerpartei erstens nicht in die Regierung gelangt und zweitens dann verboten worden, wegen Majestätsbeleidigung …