Ein Buch – Für wen?

PaD 28 /2025 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad28 2025 Ein Buch – Für wen?

Es muss um die Weihnachtszeit 1978 gewesen sein, als ich eingeladen wurde, mir einige im Entstehen begriffene Werbekampagnen anzusehen. Es mögen dann so ungefähr 50 bis 60 Leute im  Saal gewesen sein, die nach jeder kurzen Sequenz des vorbereiteten Materials ein Urteil darüber abgeben sollten. Teils per Handzeichen, teils aber auch in geheimer Abstimmung auf vorbereiteten Wahlzetteln. Am Ende gab es für jeden einen Umschlag mit einem 50-Mark-Schein drin. Das Geld war die Zeit nicht wert.

Der Werbeagentur allerdings muss es das Geld wert gewesen sein. Einige von den Spots habe ich danach tatsächlich im Fernsehen gesehen. Mit dem Aha! verbunden, welche Version da offenbar von den Testpersonen in der Rangreihe nach ganz vorne geschoben worden war.

Es kommt da ja nicht darauf an, dass ein Produkt so vorgestellt wird, dass es allen gefällt. Das wäre vollkommen unmöglich. Es kommt darauf an, dass es so präsentiert wird, dass die größtmögliche Menge ähnlicher Einstellungen, Vorlieben und Sehnsüchte gefunden wird. Dies wird halt, vermutlich auch heute noch, im kleinen Kreis eines vermeintlich repräsentativen Querschnitts mit geringstmöglichen Kosten ausprobiert.

Sollten Sie also einer Werbung begegnen, die Sie überhaupt nicht anspricht, können Sie davon ausgehen, dass Sie einer sauber abgegrenzeten Minderheit angehören, die mit der ausgesuchten Zielgruppe so viel zu tun hat, wie der Guide Michelin mit McDonalds.

Dass mir das nach beinahe 50 Jahre ausgerechnet heute wieder eingefallen ist, obwohl die Erinnerung daran über Jahrzehnte vollkommen verschüttet war, gehört zu jenen rätselhaften Wundern von denen die Welt voll ist. Dass wir sie nicht erkennen, achtlos daran vorbeihasten, schmälert das Wundersame dabei keinesfalls. Es existiert für sich selbst. Braucht keinen Applaus und keine Ehrenurkunde. Es wirkt, als sei es zwar in, aber nicht von dieser Welt.

Mir ist ein neues Buch gelungen. 

Selbstverständlich sind Autoren stets überzeugt, Ihr Titel sei der ganzen Welt gewidmet und jeder müsste es mit Begeisterung verschlingen, doch scheitert dass schon daran, dass die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen so groß ist, dass niemand, selbst wenn er professioneller Bücherleser wäre, davon mehr als einen winzigen Bruchteil überhaupt nur anlesen könnte.

Um die richtigen Leser zu finden, die in einem Buch dann das finden, was sie sich erhofft hatten, muss es so präsentiert werden, dass sich genau die Leser angesprochen fühlen, die es dann auch zu schätzen wissen werden.

Und jetzt kommen Sie ins Spiel.

Ja, genau Sie.

Ich habe hier drei unterschiedliche Werbeaussagen für dieses Buch formuliert. Alle drei sind vollständig zutreffend, aber doch auf unterschiedliche Erwartungshaltungen hin zugeschnitten und optimiert. Lesen Sie diese drei Werbetexte bitte zunächst unvoreingenommen durch.

Spätlese, von Egon W. Kreutzer 

Glaubt man beim Lesen der ersten Seiten noch, es handle sich hier um eine Neuausgabe der „Feuerzangenbowle“, weil ein weinseliger Kreis von Honoratioren dabei zu sein scheint, die komplette Juristerei mit einem dummen Scherz aus den Angeln zu heben, stellt man doch relativ schnell fest, dass dahinter mehr stecken muss, als großartig geschriebener, letztlich aber doch nur wenig tiefgründiger Humor.

Man hätte es schon am kryptischen Untertitel erkennen können, denn der lautet: „Hart am Rande des Selbst“, und dürfte eher auf Ernsthaftigkeit einstimmen wollen als auf einen Schabernack.

Als dann an anderem Ort und zu anderer Zeit Julian, der verhinderte Exhibitionist, auftritt und in Elsässers Bademantel den eigenen wiedererkennt, die Polizeiaktion vor Elsässers Haus verängstigt auf eine Parallele zum eigenen, stets gezügelten Entkleidungstrieb zurückführt, spielt der Autor dem Leser damit den zweiten Streich. Es geht nicht um die satirische Zuspitzung des Tagesaktuellen, es passt nur hinein in das große Konzept um Bestimmungen und Widersprüche, um Ziele, Werte und Sinn, was außerhalb philosophischer Fachliteratur vielleicht überhaupt nur noch mit solchen Stilmitteln angegangen werden kann.

Da treffen dann auch zwischen Baumgrenze und ewigem Eis possierliche Murmeltiere auf den giftigen Atem des perfektionistischen Idealisten, eine Barbara muss im Fraktionssaal erleben, wie nahe „Hossiana!“ und „Kreuziget sie!“ selbst noch im Ortsverein der Partei beieinander liegen können, woran sich dann unvermittelt einer der vielen neuen Aphorismen anschließt, die Kreutzer wie Gedenksteine zwischen die Kapitel gestellt hat, nämlich diesen:

Recht zu haben, zählt nicht.
Fehlt dir die Macht,
sei klüger und gib nach.

Bald darauf tritt erstmals jenes Selbst auf, das Bericht erstattet von den Handlungen und Gedanken eines Unbenannten, jener, stets nur als „er“ bezeichneten Figur, der großer Raum eingeräumt wird, ohne dass sie damit aber zu erschlagender Dominanz gelangen würde. 

Das Buch führt auf vielen weiteren verschlungenen Wegen tief in jene Bereiche des Seins, die von den wenigen, die sie zu ergründen wagen, als überaus befreiend und unendlich wohltuend wahrgenommen werden.

 

Egon W. Kreutzer hat sein mit Spannung erwartetes neues Buch veröffentlicht:

Spätlese – Am Rande des Selbst

Mit seinem dritten belletristischen Werk nach „Der Goldesel“ und „Andere Abhilfe“ ist Kreutzer in eine neue literarische Dimension vorgedrungen. Die fragile, von wenigen erkennbaren Handlungsfäden immer nur ein Stück weit zusammengehaltene Struktur des Buches ist gewöhnungsbedürftig, doch hat man sich eingelesen, und der Autor macht dies seinen Lesern leicht, bewegt man sich von Episode zu Episode mit großer Leichtigkeit innerhalb eines großen Zusammenhangs, der sich wie von selbst ergibt und einen langen Nachhall hinterlässt.

Dieses Spiel mit  Überschneidungen und Sprüngen sei hier nur kurz beispielhaft angedeutet:

Als hätte Umberto Eco die Hand im Spiel, findet sich unversehens ab Seite 69 in einer alten Eichenkiste ein Pergament aus dem 11. Jahrhundert, von einem Mönch, dessen Kloster nach großem Frevel dem Untergang geweiht ist, in Todesangst geschrieben, als eine Ermahnung an uns heute Lebenden, weil Satan nach 777 Jahren wieder losgelassen werden  soll, uns zu versuchen.

Kurz zuvor findet sich in der Spätlese der Versuch eines Geistlichen, sich nach vergeblichem eigenen Mühen, die Sonntagspredigt von ChatGPT schreiben zu lassen, und bald danach folgt der Spruch des obersten Gerichts zur Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bei der Widmung von Straßen, sofern bereits vergebene oder erst noch zu vergebende Straßennamen mit „belasteten Personen“, wie etwa Kaiser Heinrich, dem nationalistischen Tierquäler am Vogelherd,  in Zusammenhang stehen sollten.

Grandios auch der mehrfach fortgesetzte Dialog zwischen zwei Figuren eines Buches, mit der Nahtod-Erfahrung, umgeschrieben worden zu sein, weil der Lektor dem Autor aufzutragen hatte, was der Verlagschef dem Lektor aufgetragen hat, dem Autor aufzutragen, weil dem Verlagschef, vermutlich in Davos, eröffnet worden war, was seine Bücher zu transportierern hätten, sollte er auf wohlwollende Rezensionen nicht verzichten wollen.

Aufs Ende zu wird der Untertitel: „Hart am Rande des Selbst“, zur  selbsterklärenden Metapher. Wer ist schon wirklich sein eigenes Selbst? Wer hält es durch, dies zu sein? Was tritt ungefragt und machtvoll an dessen Stelle?

Unbedingt lesenswert!

 

Neuerscheinung – Egon W. Kreutzer, SPÄTLESE

Vom Titel her könnte man auf Autobiografisches schließen. Wer Kreutzers „Goldesel“ gelesen hat, von dem er selbst sagt, das Buch trage starke autobiografische Züge, dürfte diese Idee allerdings schnell wieder verwerfen. Andererseits weist ein Erzählstrang innerhalb der „Spätlese“ doch wiederum deutliche Übereinstimmungen mit dem auf, was von der Vita des Autors sonst bekannt ist. So könnte es sich bei dem mehrfach genannten kleinen Dorf um Kreutzers „Meilschnitz“ handeln und bei der nahegelegenen Kleinstadt um jenes „Neustadt bei Coburg“, das als Geburtsort Kreutzers aktenkundig ist.

Dieser Spekulation zu folgen, und dabei über weitere Entdeckungen zu Gewissheiten zu gelangen, mag einen der Reize dieses Buches ausmachen, doch im Grunde – Autobiografisches hin oder her – geht es darin um Größeres, um weit über die darin agierenden Charaktere Hinausreichendes.

Beginnt die Handlung, obwohl es im eigentlichen Sinne keine Handlung gibt, noch ausgesprochen profan mit einem weinseligen Abend in den Gewölben von Auerbachs Keller, so lässt doch schon der gewählte Ort für diesen Auftakt die Vermutung aufkommen, dass die Sphäre zwischen Himmel und Erde, von der die Schulweisheit sich nichts träumen lässt, zum eigentlichen Schauplatz einer Geschichte wird, die keine ist. Kreutzer versucht, Geschichten, Episoden, Fragmente so übereinander zu stapeln, dass sich mit jeder neuen Geschichte der beständige, harte, gemeinsame Kern deutlicher herausschält, um dann, von den nur zufällig zugeordneten Accessoires, von den Moden der Zeit, von den bestimmenden Ideologien befreit, als das erkennbar zu werden, was hinter dem Schleier der Zeit nur zu leicht als ein wahrer Wert verborgen bleibt.

Angerührt hat mich beim Lesen besonders die auf nur wenigen Seiten in Erscheinung tretende Figur des Knaben Shuka. Shuka, Schüler eines fernöstlichen Meisters, der, als der Meister seine Reife geprüft hatte, dazu bestimmt war, als der neue Meister den Tempel zu hüten und neue Schüler zu unterrichten, bis er selbst unter seinen Schülern wieder einen gefunden haben werde, der würdig ist, die Nachfolge anzutreten.

Das ist das in vielen Facetten wiederkehrende Motiv. Das Herantreten an den Rand des Selbst. Ein Motiv, das, wie die Sonne über dem Horizont, Kapitel für Kapitel weiter über dem Profanen aufsteigt und den Leser gelegentlich nicht nur die Hitze des Tages, sondern auch einen Hauch des Ewigen und Heiligen verspüren lässt.

Am Schluss seines  Vorworts gibt der Autor seiner Leserschaft eine Empfehlung, wie seine Spätlese am besten zu genießen sei. Ich schließe mich dem gerne vollinhaltlich an:

Genießen Sie in kleinen Schlucken, spüren Sie die feinen Nuancen, die zarten Anspielungen, die Spuren eines hintergründigen Humors im Abgang und die sich nach und nach entwickelnde, wohltuende Note von Menschlichkeit und Güte.

Jene, deren Interesse an diesem Buch bereits erloschen ist, sind bereits gegangen.

Das ist ganz normal und gut. Ich lese doch auch nicht jedes Buch, das mir angepriesen wird, und selbst wenn ich es interessant finde, sind da auch immer noch Prioritäten zu setzen.

Sie aber sind noch da. Wir sind also unter uns, und da erlaube ich mir, Sie zu fragen:

Welche dieser Ankündigungen würde Sie nun am stärksten ansprechen?

Die Rote? Die Blaue? Die Gelbe?

Mit Ihrer Antwort helfen Sie mir sehr.

Bitte nehmen Sie sich die paar Minuten Zeit, die es braucht, mir zu schreiben, welchen Text Sie bevorzugen und, wenn es Ihre Zeit erlaubt, auch, was Ihren  Favoriten von den beiden anderen Entwürfen positiv abhebt.

Herzlichen Dank im Voraus

Ihr Egon W. Kreutzer

Mail: ewk@egon-w-kreutzer.de