Die Macht der Versager – das Versagen der Mächtigen

Führungsversagen ist im Charakter angelegt

Angeblich, und, wie es scheint, höchst wahrscheinlich korrekt beobachtet, gibt es unter den großen und kleinen Anführern, unabhängig von allen sonstigen Unterschieden, zwei grundsätzlich zu unterscheidende Einstellungen, in Bezug auf die von ihnen Geführten.

Geringschätzung und Wertschätzung

Es handelt sich, auch wenn man andere Klassifizierungen heranziehen könnte, um die Wirkungen charakterlicher Eigenschaften,  und es ist für die Träger dieser Eigenschaften schwer bis unmöglich, diese Einstellungen zu verändern, ja die jeweils eigene Einstellung überhaupt jemals kritisch zu hinterfragen.

Die Unterschiede lassen sich in aller Kürze in wenigen signifikanten Gegensatzpaaren darstellen:

 

Geringschätzung Wertschätzung
Kontrolle Vertrauen
Detaillierte Anweisung Grobe Zielvorgabe
Stetes Antreiben Terminvereinbarung
Schuldzuweisung Konstruktive Kritik
Magerer Lohn Erfolgsbeteiligung
Bestrafung Förderung
Wegrationalisieren Neue Aufgaben übertragen
etc. etc.

 

Die Begriffe in der Tabelle passen zwar primär auf echte hierarchische Unterstellungsverhältnisse, wie sie in Unternehmen, Behörden und militärischen Gliederungen auftreten. Sie lassen sich aber auch auf jene indirekten Beziehungen zwischen Ober und Unter übertragen, wie sie in der Politik bei Abgeordneten, Ministern und Staatssekretären, sowie Regierungs- und Staatschefs gegenüber dem Volk zum Ausdruck kommen.

In den extremen Ausprägungen finden wir dort dann

  • entweder ein diktatorisch-ausbeuterisches System, in dem kleingehaltenen, entrechteten Menschen das erwünschte Verhalten gewaltsam aufgezwungen wird, um den Nutzen der Führungsclique zu mehren,
  • oder den freiwilligen, kooperativ-arbeitsteiligen Zusammenschluss zur Optimierung des gemeinsamen Nutzens, der im Wesentlichen leistungsadäquat verteilt wird.

 

Wollte man dem Kampfbegriff: „Wir sind mehr“, folgen, müsste man anerkennen, dass das diktatorisch-ausbeuterische System im Kampf der Systeme gewonnen hat, weil es, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, in der großen Mehrzahl der Staaten auf dieser Erde zum vorherrschenden Prinzip geworden ist.

Sind es also die Menschen, die Beherrschten, die Untertanen, deren Wesen und Verhalten diese Form der Behandlung als optimal erscheinen lässt?

Ohne ausbuchstabieren zu wollen, was „optimal“ in diesem Zusammenhang bedeuten könnte, muss festgestellt werden, dass die Untertanen zweifellos zum Erfolg dieses Systems beitragen, indem sie, von vernachlässigbaren Ausnahmen abgesehen, auch unter den Bedingungen der äußersten Geringschätzung die ihnen zugewiesenen Funktionen erfüllen. Für längst nicht alle sind dabei die Umstände so grausam, wie sie es zum Beispiel für die der Rüstungsindustrie von den Konzentrationslagern zur Verfügung gestellten Zwangsarbeiter waren, doch selbst diese haben die ihnen zugewiesenen Funktionen bis zum Umfallen erfüllt.

Nehmen wir als vorläufige Ursache für Geringschätzigkeit gegenüber Untergebenen an, dass es das Wissen darum ist, dass sie sich so leicht beugen und verbiegen lassen und selbst unter entehrenden Zuständen in aussichtslosen Situationen immer noch funktionieren. Da muss man ja gar nicht an die Zwangsarbeiter denken. Soldaten an der Front sind ein weiteres gutes Beispiel. Der Materialwert des Ordens, den es bestenfalls zu gewinnen gibt, ist Nachweis der Geringschätzung genug.

Natürlich ist es nicht der Materialwert, auf den es ankommt. Es ist der ideelle Wert, den der Ausgezeichnete oder seine Angehörigen dem Stück Blech beimessen. Daraus lassen sich ganze Heldensagen weben, auf dass eine neue Generation mit den gleichen nützlichen Idealen nachwachsen möge.

Damit wurde bereits ein weiterer Anlass für die Geringschätzigkeit gestreift. Menschen sind schnell und in großer Zahl nachwachsende Ressourcen.

Wert hat aber nur, was nicht beliebig vermehrbar ist.

Der einzelne Mensch, das Individuum, ist natürlich einzigartig und überhaupt  nicht vermehrbar, weshalb er für seine Nächsten großen Wert hat, aber mit jeder Hierarchiestufe Abstand taucht das Individuum immer tiefer ein in jene Aggregationen von Masse, die im Bildschirmabbild des strategischen Sandkastens nur noch in Form taktischer Zeichen aufscheinen und durch ein Ziehen mit der Maus  hin und her geschoben werden.

Das geht immer lange gut.

Es geht wirklich immer lange gut.

Bis dann eines Tages das Unerwartete eintritt. Ein Individuum hebt den Kopf aus der Masse, schwingt sich auf zum Vertreter der Masse und schafft es gar, die Masse hinter sich zu vereinen.

Nun, wer im Geringschätzen zu Hause ist, kann gar nicht anders. Er wird auch diesen Kopf geringschätzen. Früher war der dann ganz  schnell ab, der Kopf. Möglichst öffentlich zur Abschreckung. Mindestens aber ein öffentlicher Prozess.

Das mit den öffentlichen Prozessen bewährt sich auch heute noch. Selbst da, wo nicht auch gleich noch die Verteidiger in U-Haft gesteckt werden, wie es dem Verteidiger Imamoglus in der Türkei gerade widerfahren ist, nimmt so ein Prozess, der ja durchaus in die Länge gezogen werden kann, dem gehobenen Kopf ganz schnell jegliche Handlungsfähigkeit. Michael Ballweg kann ein Lied davon singen und Rainer Füllmich ebenso. Dabei waren die noch nicht einmal wirklich gefährlich. Wirklich gefährlich war der Wahlgewinner in Rumänien. Weg ist er. Wirklich gefährlich war Marine Le Pen. Weg ist sie. Orban ist auch schon lange als gefährlich markiert. Jetzt stellt er sich auch noch vor Le Pen. Will der denn unbedingt auch weg?

Gegen Alice Weidel hat diesmal noch die Brandmauer geholfen. Aber bis zum nächsten Mal ist noch Zeit. Man wird sich etwas einfallen lassen. Da bin ich mir ganz sicher.

Allmählich wird aber auch das Paradoxon sichtbar, von dem dieser Aufsatz künden soll.

Je perfekter die Macht herrscht, je einfacher ihre Wahrheit allgemeingültig gemacht wird, je schneller Kritiker stummgeschaltet und erhobene Köpfe identifiziert und unschädlich gemacht werden können, je mehr das Leben der Individuen in der Masse reglementiert wird, desto weniger funktioniert noch.

Eigentlich sollte doch die totale Macht das genaue Gegenteil bewirken, nämlich die vollständige Umsetzung alles dessen, was sich die Herrscher zum Ziel gesetzt haben.

Stattdessen sieht es so aus, als seien der Repressionsapparat und die damit verbundene Bürokratie, die als unabdingbare Voraussetzung für die Zielerreichung installiert und den Notwendigkeiten folgend immer weiter ausgebaut wurden, das einzige, was überhaupt erreicht wird, während die Wirtschaft, die Gesellschaft und die staatliche Ordnung darüber zerbrechen müssen.

„Es war noch nicht der richtige Sozialismus“, erläutern diejenigen dann, die es noch einmal versuchen und noch besser machen wollen.

Wenn es aber noch nicht der richtige Sozialismus war, dann müssen die, die den gesichert unwahren Sozialismus vorangetrieben haben, doch unfähig gewesen sein, ihn aufzubauen.

Es ist aber nicht der Sozialismus alleine, dem Versagen nachgesagt werden kann. Es hat ja in Deutschland mit der Sozialen Marktwirtschaft auch nur für kurze Zeit funktioniert. Hierzu taucht die Frage auf, ob sich da irgendwann um den Jahrtausendwechsel herum die Unfähigkeit in der Regierung so stark ausgebreitet hat, dass das Land heute am Abgrund steht und international nur noch als Lachnummer angesehen wird?

An der Geringschätzung gegenüber dem Volk fehlt es nicht.  Wo heilige Wahlversprechen den Urnengang keinen Tag überleben, kann von Wertschätzung der Wähler wohl kaum noch die Rede sein.

Wo Parteien, die eine Regierung erst noch bilden wollen, sich von den Abgeordneten eines bereits abgewählten Parlaments eine Schuldenermächtigung unvorstellbaren Umfangs ins Grundgesetz schreiben lassen, um dann zu beginnen, darüber zu streiten, wofür das Geld ausgegeben werden soll, kann von Wertschätzung der Wähler und Steuerzahler wohl kaum noch die Rede sein.

Wo neben technischen Überwachungseinrichtungen aller Art, Netzwerk-Durchsetzungsgesetz und Digital Services Act auch noch haufenweise Meldestellen für nicht strafbare Meinungsäußerungen zur Nutzung durch biologische Denunzianten eingerichtet werden, kann auch von einem unzureichenden Repressionsapparat nicht die Rede sein.

Wenn sie also einen Plan hätten, an dessen Ende die perfekte Welt stehen sollte, und sei es nur die perfekte Welt für sie selbst, ein Ergebnis müsste längst sichtbar sein. An den Machtmitteln, derer sie sich bedienen, mangelt es nicht.

Es ist kein Paradoxon.

Es sieht nur so aus.

Es ist einfach so, dass der Herrscher, der seine Untertanen gering schätzt, sie entmündigt und ihrer Freiheiten beraubt, der Kritiker und Opponenten unterdrückt und zum Schweigen bringt oder in die Flucht schlägt, am Ende zwangsläufig nur noch über eine Horde von Speichelleckern und minderbemittelten Kretins herrscht, die kaum noch in der Lage sind, wenigstens das hervorzubringen, was sie zum eigenen Überleben benötigen.

So macht sich selbst der stolze gallische Hahn als lendenlahmer Gockel auf dem Mist zum Hohn und Spott der Welt, und dagegen hilft dann auch kein noch so fein ausgedachtes Verbot von Hass und Hetze mehr.