Ahnungen sind Bauchgefühle, denen es gelungen ist, ins Hirn aufzusteigen und dort die Tonart zu bestimmen.
Mehr nicht. Ahnungen sind weit entfernt von Wissen und Erkenntnis. Sie sind nah verwandt mit Vorurteilen, grenzen bisweilen an Fanatismus und wirken umso stärker, je schmaler die Faktenbasis ist, auf die sie sich beziehen. Natürlich können sich Ahnungen bestätigen. Da verhält es sich wie mit den Zeitungshoroskopen. Beide sind weit vom Konkreten entfernt und damit hochgradig ausdeutungsfähig.
Deswegen ist der Satz: „Du hast ja keine Ahnung!“, ein wirksames Totschlagargument, das von vermeintlich „Wissenden“ gegenüber den bedauernswerten „Unwissenden“ in Anschlag gebracht wird, mit keinem anderen Ziel, als eine hierarchische Distanz zu schaffen, wie sie Missionare nutzen, um sich und ihre Lehre als überlegen darzustellen. Was dann vermittelt wird, ist allerdings keine Lehre, sondern das Erleben, ebenfalls eine Ahnung zu haben.
So kann ich an dieser Stelle guten Gewissens meine Meinung kundtun, dass Robert Habeck durchaus eine Ahnung hat, sowohl von Volks-, als auch von Betriebswirtschaft. Er ahnt, dass die Preise sinken, wenn die Inflation sinkt. Er ahnt, dass Unternehmen die Insolvenz dadurch vermeiden können, dass sie einfach aufhören zu produzieren und zu verkaufen. Er ahnt auch längst, dass preisgünstiger grüner Wasserstoff im Zusammenwirken mit staatlichen Subventionen und Einfuhrzöllen einen im Binnenmarkt konkurrenzfähigen grünen Stahl ermöglichen wird, und er ahnt, dass sich Kritik an seinen Ahnungen am wirkungsvollsten durch Strafanträge nach § 188 StGB in Wohlgefallen auflösen lässt.
Es muss allerdings klar unterschieden werden zwischen Ahnungen und Visionen. Die Vision ist eine weitgehend in sich geschlossene Vorstellung der Zukunft, die sich, abseits von allen seriösen Fakten und Prognosen und ohne jeglichen Plan, wie sie zu erreichen sei, in menschlichen Gehirnen zu manifestieren vermag. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat seine Meinung dazu seinerzeit in dem legendären Satz offenbart: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Visionen sind allerdings in gleicher Weise wie Vorurteile oder Glaubenslehren geeignet, sich bei Veränderung der Rahmenbedingungen mittels neuer Ahnungen vor dem Zusammenbruch zu retten.
Ahnungen sind von der Perfektion von Visionen weit entfernt, helfen aber, diese zu stützen. Weil es „Ahnungen“ sind, eröffnen sie eine neue Spielwiese von Versuch und Irrtum, bis eben das Ergebnis eines Versuches dazu taugt, die Ahnung zu bestätigen und die Vision zu erhalten. Habeck selbst hat dies – unter anderem mit der nachstehenden Aussage – als ein Prinzip seiner Amtsführung bestätigt:
„Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja ehrlicherweise auch ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen.“
Im Lichte dieser Erkenntnis muss mit dem Gerede aufgeräumt werden, die Ampel, bzw. das, was jetzt noch davon übrig ist, hätte von nichts eine Ahnung. Sie haben alle ihre Ahnungen. Die Innenministerin ahnt die Gefahr von rechts und vertraut darauf, dass ausländische Geheimdienste rechtzeitig vor allen anderen Gefahren warnen werden. Die Außenministerin ahnt zwar, dass ihre Wähler ihr bei manchen Entscheidungen nicht folgen würden, ahnt aber auch, dass Frieden auf Erden erst eintreten kann, wenn die Außenpolitik weltweit feministisch geworden sein wird und lässt daher nichts unversucht, sich als stylisches Beispiel zu inszenieren und den frauenfeindlichen Russen den Krieg zu erklären.
Die Ahnungen der Bundesbauministerin, dass es möglich sei, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu errichten, falls dafür nur endlich die notwendigen Vorraussetzungen geschaffen würden, halten sich ungebrochen auch noch im vierten Regierungsjahr. Der Minister für Landwirtschaft ahnt, dass die Landwirtschaft an dem von ihr selbst durch vielerlei Emissionen – bis hin zu dem den Kühen entweichenden Methan – verursachten Klimawandel zugrunde gehen wird, was verhindert werden muss, weil Deutschland ohne Landwirtschaft und ohne Eintreten des Klimawandel einfach viel zukunftsfähiger sei als ebenfalls ohne Landwirtschaft, aber mit eingetretenem Klimawandel.
Alle miteinander sind – nachdem die FDP von den Regenbogenfahnen gegangen ist – vereint in der Ahnung, dass nur Neuverschuldung, ohne jedes Zögern und Zagen, den Weg ins Schlaraffenland eröffnen werde.
Die Bundesrepublik Deutschland hatte mit den Müllermeister Michael Glos von der CSU einmal einen Wirtschaftsminister, der wusste, dass er von den Aufgaben des Wirtschaftsministeriums nichts wusste. Solches Wissen ist das, was zum Vorschein kommt, wenn man auf Ahnungen verzichten muss, weil man keine hat.
Glos hat dem Land einen Dienst erwiesen, indem er von dem Amt zurückgetreten ist, das er nie angestrebt hatte.
Olaf Scholz wird spätestens heute Abend die Vertrauensfrage gestellt haben. Auch das ist eine Art Rücktritt, wenn auch auf Raten, denn die Abstimmung im Bundestag gibt es erst nächste Woche, und dann muss der Bundespräsident entscheiden, ob er den Bundestag auflösen will, und sollte er dies wollen, dann muss innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden, und wenn der gewählt ist, müssen Koalitionsverhandlungen geführt werden, und während alledem ist Scholz immer noch Bundeskanzler, bis dann der neue Bundestag einen neuen Bundeskanzler wählt.
Olaf Scholz, der gewiss Ahnung davon hatte, wie sich Deutschland mit der Fortschrittskoalition in eine goldene Zukunft führen lassen wird, scheint von dieser Ahnung nichts eingebüßt zu haben, denn er will – so seine Worte – am liebsten sich selbst nachfolgen.
Es wird Sie nicht verwundern, ich werde diesmal diejenigen wählen, die zwar keine Ahnung haben, aber stattdessen Wissen, Erfahrung und einen vernünftigen Plan mitbringen.