Demokratie? Mal ganz im Ernst …

Kommen Sie ein bisschen näher.  Ich muss Ihnen was ins Ohr flüstern. Bitte …

Glauben Sie noch irgendwas?

Vertrauen Sie noch irgendwem?

Dann kommen Sie mit. Ich habe mir einen abhörsicheren, schalldichten Raum bauen lassen. Da können wir reden.

So. Hier können wir frei sprechen.

Sie haben vorhin nichts gesagt, nur zweimal leicht den Kopf geschüttelt. Haben Sie Angst?

Angst? Das würde ich so nicht sagen. Ich bin halt vorsichtig.

Sie glauben also,  wenn Sie öffentlich erklären würden, niemandem mehr zu vertrauen und nichts mehr zu glauben, müssten Sie mit Sanktionen rechnen?

Ja. Natürlich. Was denn sonst?

Merken Sie gar nicht, wie Sie sich selbst widersprechen?

Nein. Wieso?

Wenn Sie wirklich nichts mehr glauben würden, könnten Sie auch nicht glauben, dass Sie wegen Ihres Unglaubens bestraft werden, oder?

Ach so. Sie sind mir aber schon ein rechter Haarspalter. Natürlich glaube ich dran, bestraft zu werden. Es gibt  ja Beispiele, Präzedenzfälle, Schauprozesse, was immer Sie wollen. Ich glaube genau das nicht, wofür ich bestraft würde, würde ich zugeben, dass ich es nicht glaube, und dass ich denen, die es verkünden, nicht vertraue.

So, so. Ein Selektivgläubiger, der sich immer noch selbst widerspricht. Indem Sie glauben, bestraft zu werden, vertrauen Sie damit doch genau denen, von denen Sie glauben, dass sie Sie bestrafen würden, sollten Sie ihnen nicht vertrauen.

Ich dachte, Sie wollten mir etwas mitteilen. Ein Geheimnis, dachte ich. Stattdessen bringen Sie mich völlig durcheinander. Was wollen Sie eigentlich von mir?

Entschuldigen Sie, sollte ich Sie wirklich irritiert haben. Mein Name ist Fünf, Agent Fünf. Ich arbeite im Projekt „Demokratie kraftvoll schützen“mit vielen anderen Demokratieerziehenden daran, Demokratiedefizite zu erkennen und, soweit es mir möglich ist, zu beheben. Ihr Demokratiedefizit hat die Schwelle des noch Duldbaren längst überschritten. Sollten Sie kooperieren, könnte ich es schaffen, Sie auf den Stand der Kunst zu bringen. Kooperieren Sie nicht, wird Ihr Fall an anderer Stelle weiterbehandelt.

Elende Drecksau! So einer bist du also!

Aber bitte. Wer wird denn gleich? Das Gebrüll können Sie sich übrigens sparen. Hier hört Sie keiner, außer mir, und meine Ohren sind noch recht gut. Ich habe Sie darüber übrigens ordnungsgemäß informiert. Dies ist ein schalldichter, abhörsicherer Raum – und Sie sind mir freiwillig gefolgt, begierig darauf, eine neue Verschwörungserzählung zu hören oder gar selbst Teil einer Verschwörung zu werden. Wir kennen euch. Wir kennen euch alle. Und wir werden euch schon hinbiegen. Verlassen Sie sich drauf.

Sie sind also „Demokratieerziehender“? Darf ich fragen, ob m oder w oder d?

Vorsicht, Bürschchen. Nicht frech werden!

O.K. Wann komme ich hier wieder raus, wenn ich zusage, zu kooperieren?

Erst, wenn ich zufrieden bin. Das wirst du dann schon sehen. Dein Erziehungsprogramm beginnt ja jetzt gerade erst. Ich fange mal mit den Grundlagen der Demokratie an. Was hältst du von diesem Grundsatz:

Demokratie ist eine Herrschaftsform.

Das ist ja wohl eher eine Binsenweisheit als ein Grundsatz. Aber, ja, dem stimme ich zu. Zufrieden, Demokratieerziehender?

Für dich bin ich Agent Fünf. So möchte ich, ganz demokratisch angesprochen werden.

Das ist überhaupt nicht demokratisch. Wenn schon, hätten wir demokratisch darüber abstimmen müssen!

Ach! Und was wäre bei dieser Abstimmung herausgekommen?

Stimmt. Demokratie zu zweit geht nicht. Das ist ja aber auch ein Sonderfall. Würden Sie nicht nur Einzelerziehung verabreichen, säßen Ihnen hier auch nur zwei Adepten gegenüber, wir hätten die Mehrheit, Herr Demokratieerziehender.

Agent Fünf. Bleib mal schön bei Agent Fünf. Das hast du dir fein ausgedacht. Aber es stimmt nicht. Der Dritte könnte sich enthalten, weil es ihm egal ist. Der Dritte könnte mich auch Hänschen nennen wollen. Es würde wieder nichts dabei herauskommen.

Nun frage ich dich noch einmal: Was hältst du von der Aussage, die Demokratie sei eine Herrschaftsform?

Verwirrend, Agent Fünf. Verwirrend. Ich würde das nun etwas anders formulieren wollen.

Nur zu!

Also: Demokratie ist eine Herrschaftsform mit Macken. Entschuldigung. Mir fällt da gerade keine bessere Umschreibung dafür ein, dass nicht geherrscht werden kann, wenn man sich nicht einig wird. Sie haben sicherlich eine ausformulierte Definition.

Du machst Fortschritte mein Freund. Sehr schön. Die korrekte Definition verrate ich noch nicht, aber ich habe noch einen Knochen, an dem du herumkauen kannst. Was hältst du davon: Demokratie und Meinungsvielfalt schließen sich aus?

Oh! Oh, oh! Das ist, meine ich, eine Falle. Das hieße ja von den unvermeidlichen, aber seltenen Ausnahmefällen auf das Ganze zu schließen. Ich sehe das so, dass Meinungsvielfalt gerade die Voraussetzung für Demokratie ist. Die Demokratie soll doch die Herrschaft des Volkes sein, und im Volk gibt es nun einmal sehr viele Meinungen. Die muss man in demokratischen Prozessen berücksichtigen. Sonst hieße das ja: Wo Meinungsvielfalt  herrscht, zerfällt die Demokratie zur Anarchie. Nein. Nein. Das lehne ich ab.

Da will ich gar nicht widersprechen, Adept. Du hast das Dilemma ganz klar erkannt. Willst du versuchen, es aufzulösen?

Ich wüsste jetzt nicht wie. Haben Sie vielleicht einen kleinen Fingerzeig für mich, Agent Fünf?

Gerne. Du hast mich  mehrmals freiwillig Agent Fünf genannt. Das sei der gewünschte Fingerzeig.

Stimmt. Ist mir selbst gar nicht aufgefallen. Ich habe also Ihre Meinung dazu, wie Sie angesprochen werden sollten, einfach übernommen. Aber warum?

Ach Gottchen! Warum?

Weil du gemerkt hast, dass du damit nicht durchkommst, und dass dir die schönste demokratische Abstimmung nichts nützt, weil nur ein Patt herauskommen würde, und weil du gemerkt hast, dass ich mich nicht umstimmen lassen werde, darum hast du deine Meinung aufgegeben und hast dich der Mehrheit, die du selbst erst geschaffen hast, angeschlossen, und diese demokratische Mehrheit, die herrscht jetzt als „Agent Fünf“. Mit deiner Zustimmung, mit deinem Glauben daran, das Richtige getan zu haben und deinem Entschluss, mir zu vertrauen.

Ich erkenne Ihre Frage wieder, Agent Fünf. Die Frage, mit der Sie mich angelockt haben. Ob ich noch etwas glaube, ob ich noch jemandem vertraue. Ist es das?

Du kapierst schnell. Das ist gut. Ganz im Vertrauen, du vertraust mir doch? Demokratie ist eine vom Ansatz her vollkommen dysfunktionale Herrschaftsform, …

Oh, oh, oh!

Langsam. Unterbrich mich nicht. Demokratie ist eine vom Ansatz her vollkommen dysfunktionale Herrschaftsform, weil die Herrschenden darauf angewiesen sind, dass das Volk ihnen bedingungslos vertraut und alles glaubt, was sie verkünden und versprechen. Ist dieser Zustand jedoch hergestellt, kann nach Belieben durchregiert werden.

Oh, oh, oh! Das gelingt doch aber nur, wenn die Herrschenden nicht nur hochgradig kompetent, sondern auch volksnah, ja geradezu beliebt sind, wenn das Vertrauen gerechtfertigt ist und der Glaube an ihre Absichten nie enttäuscht worden ist. Ja, ja. Ich sehe schon. Das wäre sozusagen das Ideal der Demokratie. Da sind wir uns ja vollkommen einig. Und ich hatte Sie schon für einen Schergen des Systems gehalten, Agent Fünf. Da gehe ich mit. Da müssen wir jetzt doch nur dafür sorgen, dass stets die Richtigen an die Macht kommen.

Träumer!

Anders herum! Es geht nur anders herum.

Das Volk braucht Demokratieerziehung. Das Volk muss lernen, den Herrschern zu glauben und zu vertrauen. Das geht am besten mit einem dummen, ungebildeten Volk, das ganz von alleine glaubt und vertraut, weil es keinen eigenen Gedanken fassen kann. Wer das Pech hat, nicht über so ein pflegeleichtes Volk zu herrschen, der muss eben diejenigen, die anfangen die Dinge zu hinterfragen und sich selbst eine gefährliche Meinung dazu zu bilden, frühzeitig aufspüren und sie spüren lassen, dass es ganz schön weh tun kann, vom richtigen Weg abzuweichen, Zweifel anzumelden und Kritik zu üben. Das ist alles schon Hass und Hetze, denn es ist Aufwiegelung der Stillen und Duldsamen, und damit Volksverhetzung und Verächtlichmachung des Staates und seiner Repräsentanten und kann daher von der Meinungsfreiheit gar nicht gedeckt sein. Nicht in einer funktionierenden Demokratie.

Du musst dich entscheiden. Ich meine es nur gut mit dir. Entweder mit Agent Fünf und den vielen, vielen Mitstreitern für die Bewahrung unserer Demokratie zu kämpfen, oder von Agent Fünf und den vielen, vielen Mitstreitern als Feind der Demokratie bekämpft zu werden.

Ich denke, du weißt, wie das ausgeht.

Ja. Ich weiß nur zu gut, wie das ausgeht.