![Affe nachdenklich](https://egon-w-kreutzer.de/wp-content/uploads/2024/07/Affe-nachdenklich-678x381.jpg)
Ich bin ein Fan von Julian Reichelt.
Das bringt es mit sich, dass ich öfters auf NIUS.de unterwegs bin, und dort ist mir gestern zum zweiten Mal ein Professor Moring unangenehm aufgefallen. Beim ersten Mal habe ich den Mantel des Schweigens über seine Thesen geworfen, bei diesem zweiten Mal muss ich einfach ablästern.
Moring betrachtet die Welt offenbar durch eine defekte Stereo-Brille, die ihm zwei Einzelbilder liefert, ohne sie, wie es sein sollte, übereinander zu legen und so den für gutes Sehen ausschlaggebenden 3-D-Effekt zu verschaffen.
Mit dieser dysfunktionalen Brille sieht er zwei Bilder, die er schon im Aufmacher seines Artikels benennt, um sich anschließend daran abzuarbeiten:
- Bild 1
Ein riesiger Haufen privaten Geldvermögens,
wozu er sagt:
„Das Geldvermögen in Deutschland ist so hoch wie nie.“ - Bild 2
Ein gähnendes Loch bei den notwendigen und wünschenswerten Investitionen,
in seiner Lesart:
„Gleichzeitig ist der Bedarf an Investitionen in Deutschland ebenfalls so hoch wie nie.“
Mitdenkende Leser ahnen es, Herr Moring fragt sich, warum dieses Geldvermögen nicht benutzt wird, um das von ihm wahrgenommene Loch damit zu füllen. In seiner Sprache:
„Egal, ob es um Infrastruktur, Forschung und Entwicklung oder den Wohnungsbau geht. Eigentlich ist es logisch und naheliegend, dieses Geld für Investitionen zu nutzen. Das stärkt die Wirtschaft und kostet den Staat nichts.“
Hier der Originalartikel bei NIUS
Lassen wir die Frage offen, die Prof. Moring auch nicht beantwortet hat, was er alles zum Geldvermögen zählt, denn das kann ja, je nach statistischem Aussageziel, von den Münzen im Sparschwein dreijähriger Kinder über die Scheine im Portemonnaie des zugehörigen Großvaters, den positiven Saldo auf dem Gehaltskonto der Eltern, den Einlagen auf Sparkonten aller Art, den Inhalten von Wertpapierdepots mit Aktien, Schuldverschreibungen und allerlei Wettscheinen auf Schweinehälften an den Terminmärkten, etc., bis hin zu abgezinsten oder nicht abgezinsten Renten- und Pensionsansprüchen reichen.
Gehen wir nur auf wirkliches Geldvermögen ein, und nur auf das, was sich tatsächlich als „auf Geld lautende“ Anlagen in Form von Guthaben auf Bankkonten wiederfindet. Diese Einschränkung ist zulässig, weil darüber hinausgehende Anlageklassen, die sich mehr oder minder schwer wieder liquidieren lassen, schließlich sowieso schon „irgendwie“ angelegt sind:
- Festverzinsliche Wertpapiere hat man überwiegend dem Staat zur Verfügung gestellt, damit der seine Aufgaben erfüllen kann,
- Aktien sind das Kapital der Aktiengesellschaften, auch wenn zwischen dem ursprünglichen Ausgabekurs, der tatsächlich ins Unternehmen geflossen ist, und dem spekulativen Kurswert himmelweite Unterschiede bestehen können.
- Derivate sind in Spekulationen geparktes Spielgeld, von denen die „Buchmacher“ der Finanzsphäre gut leben.
Das Geld ist angelegt, und in der Mehrzahl der Papiere bringt es auch eine Rendite, die wiederum auf der Wertschöpfung des Unternehmens beruht, das die Aktien ausgegeben hat. Sich davon zu trennen, müsste sich schon eine a) sicherere und b) mindestens gleich rentable Anlage anbieten, und da liegt schon einmal der Hase im Pfeffer. Gäbe es solche Anlagen, sie wären vermutlich sogar überzeichnet.
Wohin soll nun das nicht investierte Geldvermögen fließen?
Die drei Bereiche, die Moring anführt, nämlich Wohnungsbau, Infrastruktur und Forschung und Entwicklung, lassen sich doch bei einem unverstellten Blick auf die Realität des Jahres 2025 unmittelbar in der Luft zerlegen, ohne dass noch viel argumentiert werden müsste.
- Der Wohnungsbau ist tot, weil überreguliert und daher zu teuer um noch Mieter zu finden, deren Einkommen ausreicht, um die wirtschaftlich erforderliche Miete aufzubringen.
- Die Infrastruktur ist entweder bereits privatisiert und ggfs. über die Börse zugänglich, oder in einem miserablen Zustand, der auch mit noch so viel Geld nicht innerhalb überschaubarer Zeiträume verbessert werden könnte und statt Geld abzuwerfen auf staatliche Hilfen angewiesen bleiben wird. Dazu zählen übrigens auch die Wahrzeichen der neuen Elektrizitäts-Infrastruktur, wie Windmühlen, Solarfelder und Biogasanlagen, alles hängt am Tropf und wäre ohne staatliche Förderung nicht wirtschaftlich zu betreiben, wobei absehbar ist, dass die staatliche Förderung nicht mehr für lange Zeit gewährt werden kann, will der Staat den eigenen Bankrott vermeiden.
- Forschung und Entwicklung ist zwar schön, kostet aber nur Geld, und wie das in Deutschland so üblich ist: Wenn Ergebnisse da sind, sind auch die Chinesen oder Japaner oder Koreaner da, die den Weltmarkt zu unschlagbaren Preisen mit ihren Billigprodukten von guter Qualität zumüllen.
Das ist aber nicht der eigentliche Kritikpunkt an Morings Vision von der Mobilisierung des privaten Geldvermögens.
Moring irrt in katastrophaler Weise,
wenn er annimmt, das bei Banken gebunkerte Geldvermögen der privaten Haushalte liege tief unten in den Tresorräumen der Banken und modere dort vor sich hin, bis der Prinz mit der silbernen Rüstung auf dem glänzenden Rappen vorbeikommt, es befreit und erlöst, indem er es für Investitionen zur Verfügung stellt.
Da ist nichts. In den Tresoren der Banken ist vom Geldvermögen der privaten Haushalte allenfalls ein winziger Bruchteil zu finden. Wenn es hochkommt, sind es jene zwei Prozent aller Guthaben der Geldmenge M3, die von den Banken als Mindestreserve gehalten werden müssen, um liquide zu sein, wenn fällige Einlagen zur Auszahlung anstehen.
Wie soll man sich das sonst vorstellen?
Bauen sich die Banker in den besten Innenstadtlagen wunderschöne, riesige marmorstrotzende Paläste, hinter deren meterdicken Kellermauern die Leute ihre Geldsäcke gut und sicher aufbewahren lassen, für diese kostspielige Sicherheitsleistung aber nicht nur nichts bezahlen müssen, sondern am Ende des Jahres von der Bank auch noch Zinsen erhalten? So blöd kann ein Banker gar nicht sein. Da gibt es eine knallharte Auslese. Wer so arbeiten wollte, wäre ganz schnell wieder raus aus dem Geschäft.
Prof. Moring, von dem ich zu seinen Gunsten annehme, dass er es besser weiß, suggeriert jedoch, dass es sich genau so verhalte, wenn er erklärt:
„Dieses Geld liegt sozusagen nur rum. Es wird nicht investiert und es wird nicht mobilisiert. Dabei gibt es gerade in Deutschland einen riesengroßen Bedarf an Investitionen. Wenn auch nur ein Teil des Geldvermögens in Deutschland in Investitionen in Wirtschaft, Forschung und Entwicklung, Unternehmen oder auch Immobilien fließen würde, dann würde das einen echten Schub für die Wirtschaft bedeuten.“
Vergessen Sie diese professorale Suggestion. Das ist Quatsch. Das Geld liegt nicht rum. Ein kleiner, vernachlässigbarer Teil vielleicht in Sparstrümpfen unter Kopfkissen. Die Masse liegt in Form von Einlagen bei Banken vor.
Die Bank bewahrt das Geld aber nicht auf.
Die Bank macht mit dem Geld genau das, was Herr Professor Moring fordert: Sie investiert es. Sie investiert es allerdings auf eigene Rechnung. Der Kunde erfährt nicht, was da nun genau mit seinen hunderttausend Euro passiert. Ob die als Kredit an einen Bauunternehmer für den neuen Kran ausgezahlt werden, ob sie zusammen mit vielen weiteren hunderttausend Euro Guthaben anderer Sparer an der Börse Aktien kaufen, die für die Bank Kursgewinne und/oder Dividenden abwerfen sollen, ob sie als Beteiligung der Bank ins Eigenkapital eines nicht börsennotierten Unternehmens wandern, ob die Bank in Namibia einige tausend Hektar Farmland aufkauft, oder ob die Kohle am Geschäftsjahresende Teil der dreiviertel Milliarde Euro sein wird, die als Boni an die Führungskräfte ausgeschüttet werden – der Bank stehen für die Geldverwendung alle Möglichkeiten offen.
Das Geld geht hinaus in den Markt und macht dort genau das, was Prof. Moring fordert, nur höchstwahrscheinlich sehr viel professioneller, zielgenauer und rentabler als es der Privatmann mit seinen hunderttausend Euro aus der zum 65. Geburtstag ausgezahlten Lebensversicherung anstellen könnte. Die Bank hat das Wissen, die Erfahrung, die Verbindungen und kann praktisch überall und in fast jeder Größenordnung einsteigen, wo ein lohnendes Investment winkt. Das Gros der kleinen, mittleren und größeren Sparer wüsste mangels Marktüberblick noch nicht einmal, wie sie ein investitionsmittelbedürftiges Unterfangen erkennen und mit wem sie zwecks Geldtransfer dazu Kontakt aufnehmen sollten.
Was Prof. Moring dringend empfiehlt, nämlich Venture Capital für Start Ups zur Verfügung zu stellen oder sich an Hedge Fonds zu beteiligen (was aber in der Regel nur institutionellen Anlegern offen steht), oder ihr Geld in Crowd Funding Aktionen zu stecken, das klingt schön.
Er könnte allerdings mit annähernd gleicher Seriosität empfehlen, das Ersparte in Losen einer Klassenlotterie anzulegen.
Es handelt sich durchweg um hochriskante Risiken, so unberechenbar, dass auch die Risikobereitschaft der waghalsigsten Banker nicht ausreicht, um sich darauf einzulassen, wenn es den Banken nicht sogar gesetzlich verboten ist (§3 KWG), sich an solchen Geschäften zu beteiligen.
Eins noch, weil immer alles mit allem zusammenhängt
Herr Moring hat sich Informationen darüber zusammengesucht, wo in Deutschland dringender Investitionsbedarf besteht, aber die Finanzierung nicht gesichert ist.
- 200 Milliarden Euro für den Klimaschutz
- 7 bis 8 Milliarden Euro jährlich für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes
- 600 Milliarden Euro für eine zukunftsfähige Wirtschaft
- 130 Milliarden Euro für die Modernisierung der Verkehrswege und des ÖPNV
- 42 Milliarden Euro für die Bildungsinfrastruktur
- 35 Milliarden Euro zur Sanierung der Hochschulen
- ?? Milliarden für den Wohnungsbau
- Mehrere Billionen Euro für Verteidigung und innere Sicherheit
Mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 4 bis 5 Billionen Euro würde die vorgeschlagene Umschichtung des privaten Geldvermögens, auch wenn sie sich über mehrere Jahre hinzieht, nicht nur einen Börsencrash1) sondersgleichen auslösen, sondern auch ein blutiges Massaker unter den Geschäftsbanken2) anrichten.