Nach welchen Kriterien der Computer hinter den „Google News“ die Artikel auswählt, die jeweils als aktuell, wichtig, lesenswert, etc., auf der Seite erscheinen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Womöglich orientiert man sich an der Themenauswahl der Tagesschau, die einen ja des öfteren auch zur Verzweiflung bringen kann.
Heute sind mir zwei Meldungen aufgefallen, die nur noch Kopfschütteln auslösen können. Seit man mit Nessie niemand mehr hinter dem Ofen vorlocken kann, taucht alle Jahre wieder eine neue Ungeheuerlichkeit auf, nämlich der Laacher See in der Eifel. Dazu titelt die Frankfurter Neue Presse:
Vulkanausbruch könnte Flughafen Frankfurt überfluten – Geologe warnt vor Katastrophe
Wenn man sich den Spaß macht, den Artikel bis zu Ende zu lesen, begegnet einem unterwegs, gänzlich unverhofft sogar noch der Klimawandel, bis es dann heißt: Über einen Ausbruch in der nahen Zukunft brauchen sich Bewohner jedoch keine Gedanken zu machen.
Ganz ähnlich sieht es bei dem Besinnungsaufsatz aus, den Christine Holthoff bei T-Online untergebracht. Frau Holthoff hat in Düsseldorf und Mailand zwei Wissenschaften, nämlich Politikwissenschaft und Medienwissenschaft studiert und zudem noch Soziologie. Das mag erklären, warum sie von sich selbst sagt: „Deshalb rede und schreibe ich gerne über Geld und hoffe, so ein Stück zu mehr finanzieller Bildung beizutragen.“
Ihr reißerischer Aufmacher lautet:
Diese Gewohnheit kostet Sie Zehntausende Euro
Ich dachte erst ans Rauchen …
Sie zitiert darin aber Daten des Statistischen Bundesamtes mit dem wohl selbst formulierten Satz:
Die Deutschen sparen jeden Monat im Schnitt 10,3 Prozent ihres Einkommens.
Das ist natürlich a) ein kleines bisschen falsch und b) ein kleines bisschen irreführend. Irreführend, weil es so klingt als würden alle Deutschen sparen, falsch, weil diese 10,3 Prozent eben nicht regelmäßig monatlich gespart werden.
Aber lassen wir das. Schon im übernächsten Satz erklärt sie dem staunenden Publikum, dass es aber eigentlich nicht 10,3 Prozent sind, sondern sogar 20 Prozent, denn bei den 10,3 Prozent sei ja schon der Wertverlust von Immobilien (Echt? Wertverlust von Immobilien?) und anderen Sachwerten (Gold? Silber?) abgezogen.
Das kleine bisschen Irreführung wird gleich darauf zu einem großen bisschen Irreführung, denn Frau Holthoff expliziert weiter, dass sich die Deutschen damit exakt an die von Anlageexperten empfohlene Sparquote hielten. Diese Deutschen! Folgsam und gelehrig, wie aus dem Bilderbuch!
Franzosen, Österreicher, Niederländer und Italiener hingegen, kämen bei Weitem nicht an die Brutto-Sparquote der Deutschen heran.
Nach dieser „Einleitung“ eröffnet sie endlich den „Hauptteil“ und platziert ihre Message:
Die deutschen Sparer sind Falschparker, oder, wie sie es sagt: „… die vergleichsweise hohen Ersparnisse in Deutschland kaschieren ein gewaltiges Problem: das Faible der Deutschen, ihr Geld an den falschen Orten zu parken.“
Auf dem oberen Balken eines Himmelbettes, in speziellen Fächern von Truhen oder unter dem Kopfkissen habe das Ersparte nichts zu suchen. Auch Girokonten, Sparbücher oder niedrige verzinstes Tagesgeld seien die üblichen Orte, an denen die deutschen Falschparker rund 395 Milliarden Euro gebunkert hätten.
Da also verlieren Sie Zehntausende Euro. Oder doch nicht Sie persönlich, sondern alle Deutschen zusammen, oder im Durchschnitt?
Die studierte Politik- und Medienwissenschaftlerin weiß aber Rat, wie man Zehntausende Euro retten kann. Wechseln Sie (ja, Sie!) die Rolle: „weg vom Sparer, hin zum Anleger.“
Das hilft nicht nur Ihnen, das würde auch der EU-Kommission gefallen, weil Europa nämlich dringend Geld braucht – für Verteidigung und den grünen und den digitalen Wandel.
Da präsentiert Frau Holthoff ihre Vision einer echten Win-Win-Situation. Die Rüstungsindustrie, die grüne Industrie und die Digitalisierer, in deren Aktien Sie anlegen sollen, hätten dann mehr Kapital zur Verfügung – und die Anleger könnten nicht etwa nur ein hübsches Sümmchen, sondern gleich eine ordentliche Summe einstreichen.
94.350 Euro kämen zusammen.
Die könnten aber wegen schwankender Kurse nicht garantiert werden, erwähnt sie schnell, um dann ihre Beispielrechnung aufzumachen. Man müsse dazu nur mit 50 damit beginnen und bis zum Rentenbeginn mit 67 durchhalten, und monatlich 270 Euro in einen ETF-Sparplan investieren.
An dieser Stelle befand sich ursprünglich ein bisschen Häme von mir, Frau Holthoff habe sich verrechnet. Hat sie nicht. Ich habe nicht aufgepasst. Asche auf mein Haupt.
Die EU hat ebenfalls berechnet, wie viel Geld den Sparern verloren geht, weil sie sparen und nicht anlegen, was Frau Holthoff in diesen Satz kleidet, mit dem der „Hauptteil“ sich rasant auf sein Ende zubewegt: „Die EU-Kommission hat das Sparschwein daher zum Feind erkoren (Russland ist also nicht mehr alleine) und ihren Mitgliedstaaten empfohlen, mehr sogenannte Spar- und Anlagekonten einzuführen.“
Es kommen in der Überleitung zum „Schluss“ noch zum Vorschein:
- die Bundesregierung, die sich um eine bessere Altersvorsorge bemüht und die Kommissionsempfehlung herzlich willkommen heißt, bzw. begrüßt,
- die gescheiterte Riester-Rente
- das Lindner-Depot
Dann der „Schlussteil“ des Aufsatzes:
Wie bei der Pharma-Werbung kommen nach der Anpreisung der Wunderwirkung ganz kurz und schnell dahingesprochen die Risiken und Nebenwirkungen zum Vortrag.
- Es kann sein, dass – wie bei der Riester Rente – der anlegende Sparer draufzahlt, während sich die Veranstalter die Taschen voll machen.
- Es kann sein, dass die von Altersarmut Bedrohten kein Geld übrig haben, um es anzulegen. Schon heute habe ein Fünftel der Deutschen gar kein Geld beiseite gelegt.
- Es kann sein, dass es Jahrzehnte dauert, bis das wirkt.
Von daher, meint Frau Holthoff, wäre es klug (vom Staat) wenn er die ETF-Sparpläne zwangsweise für jeden Bürger einrichten würde, während jemand, der das nicht will, Widerspruch einlegen müsse – wie es bei der Organtransplantation oder der Elektronischen Patientenakte ja auch funktioniert.
Zu alledem von mir noch drei Anmerkungen:
- Bei allem, was auf Girokonten, Sparbüchern, Festgeldkonten und Tagesgeldkonten als Bestand ausgewiesen ist, handelt es sich um Geld, mit dem die Banken und Sparkassen selbst als Anleger frei und ungehindert umgehen. Das liegt nicht im Tresor! Weite Teile davon befinden sich in Form von Aktien im Besitz der Banken. Vom Sparbuch Geld abzuheben, um es selbst oder durch einen Fonds-Manager neu anlegen zu lassen, bewegt in den Kassen der Aktiengesellschaften gar nichts. Die haben das Geld schon, und sie müssen nichts davon wieder abgeben, nur weil jemand ihre Aktien verkauft. Sie bekommen auch kein Geld, wenn jemand an der Börse Aktien kauft.
- Was passiert aber, wenn Aktien gekauft werden mit dem Geld? Richtig, der Käufer ist es los – und der Verkäufer hat es. Es ist nichts investiert worden. Was der Verkäufer damit macht, wissen wir nicht, sollte er wieder Aktien kaufen, wiederholt sich das Spiel, das Geld wandert zum Verkäufer. Es ist wieder nichts investiert worden.
- Wirksam für die Kassen der Aktiengesellschaften sind lediglich Börsengänge von bisher nicht börsennotierten Unternehmen, oder Neu-Emissionen bereits bestehender Aktiengesellschaften. Börsengänge gab es im letzten Jahr in Deutschland ganze fünf, nämlich Douglas, Springer Nature, RENK Group, Penticapharm und Steyr Motors. Umgesetzt wurden dabei schlappe 1,9 Milliarden Euro. Neuemissionen – also Kapitalerhöhungen – haben 22 Unternehmen vorgenommen und dabei 569 Millionen in die Kassen geholt.
Was aber sind 2,5 Milliarden, wenn 40 Millionen Haushalte jährlich 12 mal 270 Euro, also 130 Milliarden, anlegen sollen? - Das gehortete Bargeld, das in Anlagen umgewandelt werden könnte, existiert schlicht nicht. Es ist zwar da, aber es könnte nicht in Anlagen umgewandelt werden. Die Masse, derer, die kleine Bargeldbestände bevorraten – schätzen wir einmal es seien 30 Millionen Haushalte mit durchschnittlich 5.000 Euro (150 Milliarden) halten dieses Geld als ihren Notgroschen für unerwartete Ausgaben vor, manche auch, weil sie für den nächsten Urlaub sparen. Da bewegt sich gar nichts. Und jene – geschätzt – 1 Million Haushalte, die sich die restlichen 245 Milliarden teilen, im Schnitt also 245.000 Euro im heimischen Tresor verwahren, die haben das nicht dort, weil sie zu blöd wären, rentierlichere Anlagen zu finden. Sie haben das Geld in bar zu Hause, weil es Schwarzgeld ist, weil sie Geschäfte am Finanzamt vorbei machen, weil sie es im Fluchtkoffer haben, falls sie Hals über Kopf das Land verlassen müssen, oder weil sie gelegentlich jemanden zu bestechen haben. Vielleicht liegt dieses Geld sogar aus dem einen oder anderen legalen Grund im Tresor hinter dem Picasso. Klar ist: Hätten sie es anlegen wollen, es wäre angelegt.
Warum die EU, die Bundesregierung und Frau Holthoff dies ganz anders und nicht so erklären, wie es ist, weiß ich nicht. Aber einen Grund werden sie schon haben. Gut, Frau Holthoff bekommt ihr Honorar. Da unterstellen wir mal nichts, außer der Bereitschaft, zu schreiben, was bestellt wird. EU und das deutsche GruKa (Gruselkabinett) könnten es als eine subtile Form von Propaganda gedacht haben. So, zum Beispiel:
Würde nicht so viel Geld auf die falsche Weise gespart, hätten wir Aufschwung, statt Rezession. Die Sparer sind die Wurzel allen Übels. Her mit dem Geld!