ARD – AfD – Demokratie – Instrumentalisierung – Abschiebung – Themenabend

In einem Anfall von Masochismus habe ich gestern beschlossen, mir um 20.15 den noch nicht preisgekrönten Beitrag von Jessy Wellmer, mit der Frage, ob wir unsere Demokratie kaputtmachen, anzusehen, und gleich im Anschluss eine Stunde lang den harten und fairen Gästen des Louis Klamroth beim fröhlichen Disputieren zuzuhören, wo es um die Frage ging: „Nach dem Attentat, vor den Wahlen: Welche Folgen hat der Angriff von Solingen?

Um es kurz zu machen: Antworten auf beide Fragen gab es nicht. Kein Wunder.

  • Das „Wir“, von dem Jessy Wellmer wissen wollte, ob es unsere Demokratie kaputtmacht, gibt es schließlich nicht. Es gibt nur die Demokraten, die so etwas nie tun würden, und die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD, die – wenn sie denn die Demokratie kaputtmachen wollte, wofür in den ganzen zwei Stunden kein auch nur halbwegs brauchbarer Beleg gebracht wurde – mit diesem „Wir“ absolut nichts zu tun hat.
  • Die Folgen des Angriffs von Solingen? Die geforderten Verschärfungen? Klingenlängen? Messerverbotszonen? Ja – wenn die Ampel sich einig wäre! Abschiebungen? Ja – wenn die Ampel sich einig wäre! Außengrenzen? Wenn man Art. 16a Grundgesetz ernst nähme … Nur die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen, an denen wird man Folgen erkennen können.

Stattdessen gab es  Stimmungsvolles. Frau Wellmer leitete ihre Rundreise durch den wilden Osten – immer mit Drohnenaufnahmen des auf Landstraßen durch Landschaften gleitenden Dienstwagens  verbrämt – mit einem herzzerreißenden Interview ein. Ein gebrochener Politiker, der den Büttel hingeworfen hat, weil er die Anfeindungen nicht mehr ertragen hat (Nein, es war ganz bestimmt kein AfD-Politiker!), durfte sich bei der anteilnehmenden Jessy ausweinen. Früher hieß es, wer die Hitze nicht verträgt, hat in der Küche nichts zu suchen, aber seit die Erderhitzung dazugekommen ist, muss man da wohl Nachsicht zeigen.

Das ist irgendwie auch dieser Kampf gegen rechts, der die Wahrnehmung verzerrt. Also, früher, da war ein Kampf eine Angelegenheit, bei der A und B gegeneinander angetreten sind, und A hat versucht B zu schlagen, während B versucht hat, A zu schlagen. Ob „Schattenboxen“ ernsthaft als Kampfsportart bezeichnet werden kann, weiß ich nicht, wo aber kein Gegner ist, bzw. nur einer, der von den Richtern, sobald er auch nur die Hand zum Gegenschlag erhebt, sofort disqualifiziert wird, findet kein Kampf statt. Dass, was da stattfindet, nennt man anders.

So kann auch das, was da gestern Abend in der ARD über die Mattscheibe flimmerte, nicht als Kampf gegen rechts bezeichnet werden. Rechts war  ja gar nicht da, und das hat sicherlich nicht daran gelegen, dass eingeladene Vertreter der AfD zu feige waren, in der Klamroth-Arena aufzutreten, sondern daran, dass man den Gegner gar nicht erst zum Kräftemessen zugelassen, respektive „eingeladen“ hat.

So erschöpfte sich der Versuch, das Eintreten der prognostizierten Wahlergebnisse doch noch in letzter Minute zu verhindern, darin, dem nicht anwesenden Feind ans Bein zu pinkeln. Nimmt man dieses Bild ernst, wird klar, dass das in Abwesenheit des Feindes zum bloßen Wildpinkeln entarten muss.

Jessy Wellmer brachte dazu einen in zweiter Generation im Osten aufgewachsenen Fallschirmproduzenten mit Migrationshintergrund zum Reden, der sich durch geschicktes Fragen dahin bringen ließ, zuzugeben, Angst zu haben, er könne unter Umständen auch zu jenen gehören, die von der AfD  schon am Tag nach der Machtübernahme den Ausreisebefehl im Briefkasten vorfinden. Schob dann aber nach, dass er das nicht wirklich glaube. Auch die bei ihm in Lohn und Brot stehenden Fallschirmnäherinnen stellten ihm die besten Zeugnisse aus, so dass es wirklich eine  Schande wäre, wenn die AfD den in Deutschland Geborenen in ein Land abschieden würde, dessen Sprache er nicht einmal spricht. Subtile Fiktionalität statt Holzhammer, klug gedacht und professionell umgesetzt.

Mit Kurzinterviews mit Leuten von der Straße wurde belegt, dass es zwischen diesen und Jessy Wellmer halt doch große Unterschiede in der intellektuellen Leistungsfähigkeit gibt, so dass man sich als Mitbürger mit leichtem Fremdschämen dann doch auf die Seite der Guten von der ARD schlägt, weil man sich ja irgendwie  von diesem dumpfen Ostdumpf abgrenzen will.

Insgesamt war der Versuch, die Frage zu stellen, ob wir unsere Demokratie kaputtmachen, ungefähr so unterhaltsam und lehrreich wie eine der zahllosen „Land-und-Leute-Reisedokus“ mit denen die dritten Programme mit Low-Budget-Produktionen kostensparend ihre Sendeplätze füllen (Gestern zum Beispiel im BR „Ackern zwischen Alpen und Ostsee“, oder RBB „Donaureise von Passau nach Wien“).

Etwas munterer ging es bei Louis Klamroth zu, der – weil ihm der Requisiteur keinen Stuhl ins Studio gestellt hat – ruhelos auf und ab, bzw. hin und herzugehen hatte. Ebenfalls munter wirkte der Herr Abgeordnete Sebastian Fiedler von der SPD, der sich immer wieder aus nichtigem Anlass in Rage redete, ohne dabei allerdings an die großen Vorbilder Herbert Wehner und Ralf Stegner anknüpfen zu können. Die Grüne in der Runde, weithin als KGE bekannt, übte sich wahlweise in der Kunst des Relativierens und des Whataboutismus, wobei sie mit entschiedenem Sowohl-als-Auch jedem Entweder-Oder geschickt auszuweichen verstand.

An Wolfgang Bosbach überzeugte vor allem seine ciceroeske Stimmbeherrschung mit der er sich mühelos nicht nur in der Runde, sondern auch zuhause an den Lautsprechern Gehör verschaffen konnte. Unglücklicherweise war seine Argumentation mit Art. 16a, 2 Grundgesetz nicht nur einseitig, sondern auch bereits erschöpft:

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.

Dass dieser Absatz 2 nur durchgesetzt werden könnte, wenn die deutschen Grenzen tatsächlich wieder Grenzen wären, an denen ein Staat die Einreise in das Staatsgebiet kontrolliert, reguliert und ggfs. verweigert, selbst wenn der Einreisewillige ohne Papiere „Asyl“ stammelt, vergaß Bosbach zu erwähnen. Da muss ich KGE leider Recht geben. Die Lage ist komplexer. Unrecht hat KGE dann aber damit, dass sich wegen der Komplexität kaum etwas ändern ließe. An dieser Stelle darf der Hinweis auf mein jüngstes Buch „Wie der Phönix aus der Ampel“ nicht fehlen, dann darin finden sich die gangbaren Wege zur Verbesserung der Situation Deutschlands – und das bei Weitem nicht nur, aber auch in Bezug auf die Zuwanderungsproblematik.

Es gab auch noch die Expertin Katja Hoyer, die mit der gebotenen Zurückhaltung durchaus nachvollziehbare Einschätzungen zur Stimmungslage in Deutschlands Osten gegeben hat, doch fanden diese Aussagen in der Diskussionsrunde keinen erkennbaren Widerhall. Vermutlich waren ihre Statements so wahr und richtig, dass man ihnen, damit sie schnell wieder vergessen werden, weder zustimmen, noch dagegen argumentieren durfte.

Zwei späte Gäste in der Runde, eine junge Frau, Nina Herzog, vom Bündnis „Dorfliebe für alle“ und der mit 24 Jahren jüngste Bürgermeister Brandenburgs, Luca Piwodda, kamen auch noch zu Wort. Worum es bei „Dorfliebe für alle“ geht und warum Nina Herzog in dieser Runde saß, ist mir allerdings nicht klargeworden.

Luca Piwodda hatte hingegen vieles zu sagen, und nicht alles passte so recht ins Konzept der Sendung, zumal er, wie schon ein anderer Bürgermeister vorher bei Jessy Wellmer, klipp und klar erklärte, dass es in seiner Gemeinde keine Brandmauer, sondern nur sachliche Diskussionen gäbe, obwohl ein AfD-Angehöriger im Gemeinderat sitzt.

Von dieser Aussage her wurde die Diskussion eilig auf das vielfältige Gefälle zwischen Stadt und Land verlagert. Der mutige Jungbürgermeister tappte in die Falle und forderte „von der Politik“ mehr Wohltaten für das Land, was der aufbrausende Herr Fiedler von der SPD mit einer nicht enden wollenden Tirade niederzureden versuchte, denn es sei völlig falsch zu behaupten, es würde nichts geschehen. Man würde doch in allen demokratischen Parteien unentwegt überlegen, planen, sich die Köpfe zerbrechen und Konzepte entwickeln …

Leider kam der Jungbürgermeister nicht mehr dazu, darauf hinzuweisen, dass auch jahrelang diskutierte Pläne und Konzepte die Lage vor Ort nicht verändern, solange den Worten keine Taten folgen. Aber so eine Aussage hätte möglicherweise doch wieder Teile der Wahlbevölkerung im Osten verunsichern können, was den „gefühlt“ tausendfach, „geschätzt“ mindestens dreißig Mal geäußerten Hinweis auf die laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextreme Partei, die neben den Demokraten auf dem Wahlzettel steht, doch noch hätte entwerten können.

Das nächste Mal werde ich dem masochistischen Trieb, ARD-Propaganda anzusehen, nicht so leicht nachgeben.
Ich hatte gehofft, mich wenigstens fürchterlich aufregen zu können. Aber nicht einmal diese Hoffnung hat sich erfüllt.

Meine Gebühren am Werk: Gequirlte Langeweile.