
Nun ist das als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum angestrebten AfD-Verbotsantrag also öffentlich geworden. Spätestens damit dient es als beliebig zitier- und interpretierbare Wahlkampfmunition für die letzten 19 Tage.
Ich habe mir den Text zwar heruntergeladen, aber nach dem Studium des Inhaltsverzeichnisses und der ersten Seiten beschlossen, den Rest einfach ungelesen zu lassen.
Was die Schlapphüte einer Regierungsbehörde gegen eine Oppositionspartei zusammengetragen haben, und wie sie es gewertet haben mögen, ist für mich vollkommen irrelevant. Mögen sich die Anwälte der AfD daran abarbeiten. Ich fürchte allerdings, dass auch deren Schriftsätze von kaum höherer Relevanz sein werden als das, was mir dazu einfallen würde, wollte ich mich denn mit diesen 1.000 Seiten noch ernsthaft auseinandersetzen.
Wir haben es hier weder mit klaren Definitionen, noch mit neutralen, seriösen Abwägungen, sondern einzig mit einem Phänomen der „Macht“ zu tun.
Es ist das gleiche Phänomen der Macht, das wirksam wurde, als der Chef der Behörde nicht bereit war, sich im vorauseilenden Gehorsam der weit verbreiteten und allgemein publizierten Halluzination von Hetzjagden in Chemnitz so anzuschließen, als habe er des Kaisers neue Kleider ebenfalls in all ihrer Schönheit sehen können.
Ein Tritt in den Hintern, samt einer nachhaltigen Rufmordkampagne waren die Folge einer unverzeihlichen Kränkung der Macht.
(Wie im Märchen: Wer nicht sehen kann, was gesehen werden muss, taugt nicht für sein Amt.)
So viel zur Duldung einer Regung von Neutralität und Faktentreue des Bundesamtes für Verfassungsschutz durch das Phänomen der Macht. Blöd wäre jeder hochbesoldete Beamte, der sich nach dieser Demonstration der Macht – ohne den starken Rückhalt in einer Gegenmacht – noch bemüßigt fühlte, ein nutzloses oder gar kontraproduktives Gutachten abzuliefern. Wobei es nicht so sehr darauf ankommt, die notwendigen starken Indizien aufzufinden und anzuführen, sondern nur darauf, sie in eine ausreichend eindeutige Argumentation einzuführen, die durch nichts, was sonst im Gutachten Erwähnung findet, erschüttert werden könnte. Es kommt also vor allem auch auf die Kunst der Weglassung an, die wiederum durch die schiere Masse von 1.000 Seiten als hinlänglich vertuscht angesehen werden kann.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen launischen, beinahe kabarettistischen Einwurf:
„Wenn Frostschutz vor Frost schützt,
wovor schützt dann der Verfassungsschutz?“
Es ist eine der Lebenslügen der Bonner Republik, die von der um die neuen Bundesländer erweiterten BRD nahtlos weitergeführt wurde und wird, die BRD hätte, wie das parallel fortbestehende, jedoch handlungsunfähige Deutsche Reich, eine Verfassung.
Der sprachliche Umgang mit diesem Manko reicht von der eindeutigen Benennung von „Grundgesetz“ und „grundgesetzwidrig“, wie sie in einfachen, emotional nicht aufgeladenen Sachfragen gepflegt wird, über die Floskel von der „freiheitlich demokratischen Ordnung“, mit der zwar der Ursprung dieser Grundordnung verschleiert wird, aber noch kein Anspruch auf deren Verfassungsrang erhoben wird, bis hin zu der kühnen Benennung des Grundgesetzes als „Verfassung“, wenn es in den großen Reden darum geht, den Staat als groß und souverän und international gleichberechtigt dastehen zu lassen.
Die Siegermächte haben großzügig erlaubt, in unser Grundgesetz einen Passus aufzunehmen, der es dem deutschen Volk freistellt, eines Tages in freier Selbstbestimmung eine Verfassung zu beschließen, die dieses von ihnen genehmigte Grundgesetz außer Kraft setzen wird.
Nun gehört es zu den Phänomenen der Macht, dass von dort keinerlei Anstrengungen ausgehen, eine solche Verfassung zu beschließen, geschweige denn, zu erarbeiten. Sogar der einzige Weg zu einer Beschlussfassung des deutschen Volkes wird sorgsam versperrt gehalten, indem Volksabstimmungen auf Bundesebene nicht ermöglicht werden. Angeblich sogar, weil diese in „verfassungswidriger Weise“ die Rechte des Parlaments beschneiden würden.
Die oben gestellte Scherzfrage, wovor der Verfassungsschutz wohl schütze, führt leider zu der im Scherz nur angedeuteten, tatsächlich aber zutreffenden Antwort:
„Der Verfasssungsschutz schützt vor der Erarbeitung und Inkraftsetzung einer vom deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossenen Verfassung.“
Der Artikel 146 GG kennt keinerlei, ich betone, keinerlei, Einschränkungen in Bezug auf den Inhalt dieser Verfassung. Das deutsche Volk könnte sich
- für eine Erbmonarchie mit einem Kaiser als Lehnsherrn an der Spitze entscheiden, der die deutschen Länder als Lehen an Königsfamilien vergibt,
- für eine Form der Demokratie entscheiden, in der das aktive und passive Wahlrecht im Sinne eines Matriarchats ausschließlich Frauen vorbehalten bleibt,
- für eine gesellschaftliche Ordnung entscheiden, in der die Fürsorgepflicht von Sklavenhaltern für rechtmäßig erworbene Sklaven so geregelt ist, wie seinerzeit in den Südstaaten der USA.
Es ist nicht so, dass ich mir eine solche Verfassung wünsche, auch nicht, dass ich annehme, das deutsche Volk würde sich, wäre es dazu aufgerufen, eine solche Verfassung geben. Ich will nur darauf hinweisen, dass es vom Grundgesetz her nicht die geringste Einschränkung für die Gestalt einer deutschen Verfassung gibt.
Dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Gutachten auf das Verfassungsgericht beruft, das befunden hat,
die Grundentscheidung des Grundgesetzes für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung habe zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, selbst für einzelne von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfasste Staatstrukurprinzipien, und die freiheitliche demokratische Grundordnung erst betroffen sei, wenn dasjenige in Frage gestellt und abgelehnt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jeden Streits stehen müsse,
ist zwar gut gemeint, lässt sich aber selbst dann nicht mit Art. 146 GG vereinbaren, wenn ein Tätigwerden des Verfassungsschutzes nur in Betracht kommt,
- wenn innerhalb des Personenzusammenschlusses eine feindliche Ausrichtung gegen die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG, das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG vorherrscht.
Es wird hier nämlich nicht unterschieden zwischen
- der Rechtskraft des Grundgesetzes und tatsächlichen Verstößen gegen dieses Grundgesetz, die selbstverständlich verfolgt werden sollten, selbst dann, wenn es sich dabei um eines jener seltsamen Phänomene der Macht handelt, die leider immer wieder Wirksamkeit entfalten,
- und jener, für die Entstehung einer Verfassungsidee unabdingbaren Gedankenfreiheit und den damit verbundenen, kreativen, abstrakt-theoretischen Überlegungen zur Gestaltung einer Verfassung, die dem deutschen Volk zur Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung des Verfassungsentwurfs erst noch vorgelegt werden müssen, womit Art. 20, Abs. 2 erstmals seine volle und unmittelbare Wirksamkeit entfalten würde.
Diese Unterscheidung kann jedoch nicht erst dann getroffen werden, wenn sich eine konkrete verfassungsgebende Versammlung konstituiert hat, der von Staats wegen das Privileg der Gedankenfreiheit erteilt wird. Sie muss jederzeit getroffen werden, denn diese Forderung entspricht vollständig dem Sinngehalt des Art. 5 GG, der die Meinungsfreiheit und damit auch die Fortentwicklung der staatlichen Ordnung garantiert.
Schöner Traum von einer idealen Welt.
In der Realität hat sich die Regierung von ihren Beamten im weisungsgebundenen Bundesamt für Verfassungsschutz ein Gutachten schreiben lassen, dessen Tenor ein Verbot der AfD gerechtfertigt erscheinen lässt. Dieses Gutachten ist, bei allem Bohei das sonst um Wahlmanipulationen gemacht wird, selbstverständlich vollkommen unverdächtig, das Wahlergebnis irgendwie zu beeinflussen. Auch diese Einschätzung wird sich als mächtiges Phänomen der Macht durchsetzen und vor und nach den Wahlen unangreifbar sein und bleiben.
Ach so, die Macht. Sie möchten wissen, wo die zu verorten ist …
Da nehmen wir uns doch ein Blatt Papier, A4, Querformat, denken uns, das sei Deutschland, und zeichnen ungefähr bei Zentimeter 15 eine durchgehende senkrechte Linie und beschriften die mit „Brandmauer“. Die Phänomene der Macht haben ihren Ursprung im großen Bereich links der Brandmauer.
Die Macht selbst?
Die passt nicht auf so ein Stück Papier.
Noch etwas Lehrreiches über Brandmauern:
Brandmauern bilden einen Schutz vor dem Übergreifen eines Brandes von einem Gebäude oder einem Gebäudeteil zum anschließenden Gebäude oder Gebäudeteil.
In beide Richtungen!
Wenn also links die Sicherungen durchbrennen, wenn erhitzte Gemüter den Flammpunkt erreichen und die ganze Bude in Brand setzen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass rechts davon kein ernsthafter Schaden entsteht.