1.100 Seiten geheim – warum wohl?

Es gibt Dinge, die wirklich geheimgehalten werden sollten. Da handelt es sich in aller Regel um Informationen, die für einen (potentiellen) (Kriegs-) Gegner beim tatsächlichen Schlagabtausch von großem Nutzen wären. Das Wissen um die verwundbare Stelle Siegfrieds hätte Kriemhild niemals irgendwem offenbaren dürfen.

Geheimhaltung ist immer Selbstschutz.
Selbstschutz von Einzelpersonen, Personengruppen und privaten und staatlichen Organisationen, gleichgültig ob die Geheimhaltung defensiven Charakter hat oder ob eine geplante Aggression bis zum letzten Moment verborgen werden soll.

Um Selbstschutz handelt es sich auch dann, wenn durch fehlende Geheimhaltung ausschließlich Interessen Dritter verletzt würden. So lange der Dritte keine Gefahr darstellt, wird man nichts geheimhalten, was diesen betrifft. Wenn der Dritte jedoch Gewaltmittel zur Verfügung hat, mit denen er den Verräter bestrafen könnte, ist Geheimhaltung – auch in diesem Fall – zum Selbstschutz geboten.

Mir stellt sich, nachdem ich gestern einfach nur zynisch satirisch abgelästert habe, was leider einige Leser für ernst genommen haben, heute die Frage: Worin besteht die Gefahr für Nancy Faeser, die sie veranlasst, das Gutachten des Bundesbundesamtes für Verfassungsschutz geheimzuhalten.

Der trivialste Gedanke wäre: Es gibt gar kein Gutachten. Die Bücher, die in den Ausstellungsräumen der Möbelhäuser dekorativ in den Regalen stehen, sind ja auch keine Bücher, sondern nur Attrappen. Ihr Zweck ist es nicht, gelesen zu werden, sondern lediglich einen bewohnt-wohnlichen Eindruck vorzugaukeln. Das ist allgemein bekannt. Deshalb wird auch kein Geheimnis daraus gemacht.

Wenn nun das Gutachten, samt der Behauptung, es sei auf 1.100 Seiten niedergeschrieben, frei erfunden wäre, müsste selbstverständlich allerhöchste Geheimhaltung herrschen. Der Zweck des Gutachtens bestünde dann auch nicht darin, gelesen zu werden, sondern einen demokratisch-rechtsstaatlichen Eindruck vorzugaukeln.

Diese Erklärung lässt allerdings Fragen offen. Wie sollte Nancy Faeser, die ja nun bald die Zügel aus der Hand gibt, sicherstellen können, dass niemand aus dem Verfassungsschutz oder aus dem Innenministerium selbst, schon nächste Woche mit der Aussage an die Öffentlichkeit geht, es gäbe kein Gutachten und habe nie eines gegeben? Noch kritischer: Was sollte Faesers Nachfolger dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, wenn das Gutachten vom Gericht angefordert werden sollte? Was, wenn es der AfD gelingen sollte, das Gutachten nach dem Informationsfreiheitsgesetz freizuklagen?

So zu verfahren, wäre viel zu riskant. Es darf getrost davon ausgegangen werden, dass es ein entprechendes Papier gibt, dessen Entüllung für die noch geschäftsführende Innenministerin ein fürchterliches Debakel darstellen würde.

Was könnte aber so Entlarvendes in dem Gutachten zu finden sein, dass die Auftraggeberin sich ängstigt, es könne ans Licht kommen?

Es könnte sich herausstellen, dass die über die AfD zusammengetragenen Informationen einer Nachprüfung nicht standhalten, bzw. sich  als gar nicht nachprüfbar erweisen. Das wäre schon ein schwerer Mangel, doch das ließe sich immer noch auf die Mitarbeiter des Dienstes abwälzen, deren Arbeitsethos in diesem Fall deutliche Überschneidungen zu dem des Class Relotius aufgewiesen hätte. Nancy Faeser könnte sich als die Getäuschte darstellen und einige Bauern opfern.

Es könnte sich herausstellen, dass die über die AfD zusammengetragenen Informationen durchaus nachprüfbar sind und selbst von der AfD bestätigt würden, sollte man sie fragen, dass sich darin aber keine Hinweise auf eine rechtsextremistische Haltung finden, schon gar nicht auf die rechtsextremistische Haltung der gesamten Partei. In diesem Fall wäre Frau Faeser selbst Juristin genug, um schon beim flüchtigen Lesen des 1.100-Seiten-Schinkens zu erkennen, dass es sich um eine Fehleinschätzung handelt. Sollte sie sich eine solche Fehleinschätzung trotzdem zu eigen gemacht haben, dann wäre strikte Geheimhaltung das Gebot der Stunde, um nicht (bestenfalls) mit dem Stempel „inkompetent“ gekennzeichnet zu werden.

Es könnte sich herausstellen, dass bei der Wertung der zusammengetragenen Indizien Verfassungsgrundsätze missachtet, das Grundgesetz gezielt missinterpretiert und die Kriterien für Rechtsextremismus aus der schon seit 2017 verbotenen, aber weiterhin frei zugänglichen Antifa-Postille de.indymedia.org als Maßstab gesetzt wurden. Dies mag in linksgrünen Kreisen durchaus vollständig ausreichen, um Rechtsextremismus gesichert zu erkennen, könnte jedoch auch bei der derzeitigen Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts als Begründung für ein Parteiverbotsverfahren mit Pauken und Trompeten durchfallen. Auch in diesem Fall wäre Frau Faeser selbst Juristin genug, um alles zu tun, dieses Gutachten nicht an die Öffentlichkeit kommen zu lassen.

Last but no least

Entgegen der naturgesetzlichen Gewissheit, dass Geheimhaltung stets nur dem Selbstschutz dient, könnte Frau Faeser zu dem  Schluss gekommen sein, dass einige der „Enthüllungen“ im Gutachten die Persönlichkeitsrechte von AfD-Mitgliedern und Sympathisanten verletzen könnten, die im Vertrauen darauf, Inhalte aus vertraulichen Gesprächen würden nie an die Öffentlicheit gelangen, in einer bestimmten Art und Weise über bestimmte Dinge gesprochen haben, die in der Öffentlichkeit eine verheerende Rückwirkung auf diese Personen auslösen könnten.

(Nein. Den letzten Absatz habe ich nicht wirklich ernst gemeint.)

Noch jemand eine Idee …?